Das Dunkelfeld der Polizeiarbeit

Bericht: Alternativer Polizeikongress in Hamburg

Am 05.10. war ich in Hamburg beim Alternativen Polizeikongress der Grünen. Im Vergleich zum letzten Jahr gab es einige Neuerungen. Der Alternative Polizeikongress heißt jetzt Grüner Polizeikongress. Diesmal war es eine eintägige, während es letztes Mal noch eine abendfüllende Veranstaltung war. Eine weitere Neuerung war die Gestaltung der Workshops. Die Veranstalter hatten sich dafür entschieden jeweils einen Vertreter der Zivilgesellschaft und einen polizeilichen Vertreter neben einander zu setzen und zu einem Thema erzählen zu lassen.

Im Mittelpunkt stand die Frage, wie und ob Polizeiarbeit und Grundrechteschutz mit einander vereinbar sind. Insbesondere bei Ermittlungen im Netz stellt sich einigen die Frage, wie und ob in die anonyme Kommunikation eingegriffen werden kann oder soll. Während im letzten Jahr noch die Polizeikennzeichnung von Beamten bei Großveranstaltungen wie z.B. Castor-Transporten eines der am intensivsten debattierten Themen war, stand die Vorratsdatenspeicherung diesmal im Fokus vieler Redebeiträge und Workshops.

Trennung vom Trennungsgebot

Naturgemäß war der Ton der Referenten aus der Wissenschaft eher kritisch. Die zunehmende Vergeheimdienstlichung der Polizeiarbeit wurde bemängelt. Methoden, die ursprünglich maßgeblich für Geheimdienste gedacht waren, gehen zunehmend in den gängigen Ermittlungskanon weiterer Behörden über. Auch das Trennungsgebot ist durch regen Datenaustausch und immer geringere räumliche- aber auch personelle Trennung in den letzten Jahren kontinuierlich aufgeweicht worden. Maßnahmen, die sich als offensichtlich anfällig für Missbrauch erweisen oder gar weitgehend ihr Ziel der Aufklärung von Verbrechen verfehlen, werden seltenst wieder zurückgenommen. Eine objektive wissenschaftliche Evaluierung von Maßnahmen unter Berücksichtigung alternativer Ermittlungs-, bzw. Mitteleinsätze fehlt bislang. Einmal gewonnene Kompetenzen werden so gut wie nie freiwillig ohne entsprechendes Gerichtsurteil wieder abgegeben. Die Bürgerrechte sind somit einer ständigen Erosion zunehmender Eingriffsbefugnisse ausgesetzt.

Who watches the watchmen: Wie viel Kontrolle muss sein?

Das Beispiel Handyrasterfahndung (bzw. „Funkzellenauswertung“) in Berlin hat gezeigt, dass die rechtlichen Kontrollinstanzen bei Telekommunikationsüberwachung unzureichend sind. Aus der Untersuchung des Berliner Datenschutzbeauftragten Dix ging schließlich hervor, dass das Subsidiaritätsprinzip in der Praxis kaum Wirkung entfaltet. Die von ihm überprüften Ermittlungsakten belegten eindeutig, dass die Funkzellenrasterfahndung oft schon bereits dann angewendet wurde, bevor abzusehen war, ob nicht alternative Ermittlungsansätze wie z.B. Zeugenbefragungen zum Erfolg führen.

Die Handyrasterfahndung in Dresden ist ein gutes Beispiel für einen weiteren Mangel im Bereich rechtsstaatlicher Kontrollen grundrechtsintensiver Eingriffe. Bei den Anti-Nazi Protesten wurden Daten von zehntausenden von Handy-Nutzern im Großraum Dresden abgefangen. Alles unter Richtervorbehalt. Aus Polizeisicht gestaltet sich die Dresdener Massenabfrage dergestalt, dass die friedlichen Demonstrationsteilnehmer geschützt hätten werden müssten vor möglicherweise militanten Mitdemonstranten (Zwischeneinwurf aus dem Publikum). Der „offizielle“ Grund für die genehmigte Abfrage hatte nur leider überhaupt nichts mit den Demonstrationen zu tun. Es ging um eine Sachbeschädigung die geraume Zeit vor der Demonstration stattgefunden haben soll.

Fakt ist: Auch die Subsidiaritätsklausel fand bei den Berliner Funkzellenabfragen keine bis wenig Beachtung. Und der Richtervorbehalt scheitert in der Praxis an strukturellen Fehlkonzeptionen. Die Gerichte sind überlastet. Für Richter bedeutet es in der Praxis mehr Arbeit einen Antrag mit Begründung schriftlich abzulehnen, als unter eine vorgegebene Begründung eine einfache Unterschrift zu setzen. Zudem halten sich die Sanktionen gegen im Nachhinein als ungerechtfertigt, bzw. missbräuchlich herausgestellte angeordnete Überwachungsmaßnahmen in Grenzen. Man kann von Glück sprechen, wenn Betroffene überhaupt über die Tatsache informiert werden, dass ihre Daten illegitim von der Polizei abgegriffen worden sind. Auch dies geht aus den Prüfungen des Berliner Datenschutzbeauftragten zum Stand der Funkzellenabfragen hervor. Und wenn man nichts davon weiß, dass die eigenen Daten illegitim genutzt worden sind – wie soll man da als Betroffener Gebrauch machen von seinen Rechten?

Ein Teenie-Hacker, die NASA und die Vorratsdatenspeicherung

In einem Workshop wurde auch die Vorratsdatenspeicherung am Beispiel eines Script-Kiddies aus Nordfrankreich beleuchtet. Der Referent Florian Walther hat wie ich finde einen interessanten Punkt angerissen, denn die Tatsache, dass ein Teenie zahlreiche Seiten unter Ausnutzung einer bekannten Sicherheitslücke hacken konnte belegt für ihn eben nicht die Notwendigkeit einer Vorratsdatenspeicherung. Der Fall sei weitaus eher ein Zeichen dafür, dass Software-Anbieter sich wenig Gedanken um Sicherheit machen, da sie für die Schäden derzeit nicht haften. Daher werde dem Kunden derzeit „Banana-Software“ untergejubelt – Software, die erst beim Kunden „reift“. Bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Haftung, die sich am Gewinn oder Umsatz eines Unternehmens orientieren würde, wäre hingegen der Anreiz groß, bessere Software herzustellen, die weniger anfällig ist für Angriffe. Und die totale Sicherheit – ja die gebe es wohl nie.

Auch im Eingangspodium wurde eine interessante Analogie zu Marktanreizen und Kriminalität gezogen. So habe sich die Auto-Industrie jahrelang immens gegen die Einführung einer Wegfahrsperre gewehrt. Schließlich hatten die Hersteller beim Diebstahl keinerlei Haftung zu fürchten, da die Verbraucher und Versicherungen den Schaden trugen sowie die Polizei, bzw. der Steuerzahler. Hier lag klares Marktversagen vor. Durch die politische Umsetzung einer verpflichtenden Wegfahrsperre bei Neufahrzeugen konnte hier erst Abhilfe geschaffen werden. Sichere Software durch Marktregulierung und Medienkompetenz sowie Jugendarbeit kann also durchaus eine Alternative zur Vorratsdatenspeicherung sein.

Europol und seine Datenbanken

Bei dem Workshop von Eric Töpfer (Deutsches Institut für Menschenrechte) und Jan Ulrich Ellermann (Europol) wurde ein kurzer Einblick in die EUROPOL-Datenbanken gegeben. Hier wurde deutlich, dass die Kompetenzen von Europol insbesondere nach den Anschlägen in New York massiv erweitert worden sind. Der Annex der Europol betreffenden Verträge mit „möglichen“ zukünftigen Kompetenzen wurde in die Verträge überführt. Europol ist somit nicht mehr nur für grenzüberschreitende Organisierte Kriminalität zuständig sondern deckt mittlerweile ein sehr weites Spektrum von Ermittlungsfeldern ab.

Dies spiegelt sich auch in den zahlreichen Datenbanken von Europol ab, auf die die nationalen Polizeibehörden zugreifen können. Eric Töpfer machte darauf aufmerksam, dass durch die zunehmende europäische Vernetzung von Polizeidatenbanken der Überblick und die Kontrolle für die ordnungsgemäße Handhabung der Daten zunehmend unmöglich wird. So kann es ein, dass wenn zwei Behörden in einem Land nicht offiziell Daten austauschen dürfen (beispielsweise aufgrund eines Trennungsgebots) diese nun unter Umständen dem Umweg über europäische Datenbanken nehmen können. Auch sei es zu bezweifeln, ob in allen EU-Staaten ein angemessener Schutz der Daten sichergestellt werden kann. Man nehme nur einmal das Beispiel Ungarn.

Der Vertreter von Europol war bestrebt zu versichern, man selbst hätte höhere Standards als im EU-Durchschnitt bei sich selbst angesetzt. Doch der EU-Durchschnitt ist mehr als nur mangelhaft, wenn es um Datenschutz bei Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten geht. Er ist besorgniserregend. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Richtlinie zum Datenaustausch und Datenschutz bei europäischen Strafverfolgungsbehörden von der Kommission überarbeitet wird – und sich bereits im Vorfeld eine Rüge von Deutschlands oberstem Datenschützer Peter Schaar eingefangen hat.

Aus dem Publikum kamen zahlreiche Fragen bezüglich Auskunftsrechten und Berichtigung fehlerhafter Einträge in den Datenbanken. Europol selbst „fahndet“ laut Darstellung des Referenten regelmäßig danach, ob illegitime Einträge (die z.B. Rückschlüsse auf die sexuelle Orientierung erlauben) in dafür nicht vorgesehenen Datenbankeinträgen auftauchen und löscht diese bei Bedarf. Die Betroffenen werden dabei laut Aussage des Referenten jedoch nicht darüber informiert, wenn so ein missbräuchlicher Eintrag stattgefunden hat. Ein Rechtsschutz ist somit weitgehend ausgeschlossen. Gleichwohl steigt die Zahl der Auskunftsersuchen an Europol zunehmend. Derartige Anfragen müssen beantwortet werden, wenn Ermittlungen laufen wird dies aus der Antwort zudem ersichtlich. Eine Teilnehmerin des Workshops berichtete über schlechte Erfahrungen bei Beschwerden – sie sei weitgehend ignoriert worden und schätzte daher die Wirksamkeit der Kontrolle der Behörde als unzureichend ein.

Fazit: Das Dunkelfeld ist groß – und geht über Statistiken hinaus

Bei dem Einführungspodium wurde ein weiter Bogen aufgespannt, der mir dem Thema angemessen erschien und ich hätte mir mehr gewünscht, dass die zu Beginn angeschnittene ganzheitliche Beobachtung sich mehr in anderen Beiträgen wiedergefunden hätte. Hamburg verfügt über einige der wenigen letzten Kriminologischen Lehrstühle an Soziologischen Instituten. Diese sind gerade von Sparmaßnahmen der Uni Hamburg bedroht. Das ist für mich ein Trauerspiel, denn Kriminalität und Devianzen haben stets auch soziale Gründe.

Wer nur schaut, wie Kriminalität effektiv verfolgt und sanktioniert werden kann, sieht nur einen sehr kleinen Ausschnitt des gesamtgesellschaftlichen Bildes. Langfristige Politik der Inneren Sicherheit bedarf eben auch einer Politik der sozialen Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Wenn bei sozialen Projekten Mittel gekürzt werden und zugleich die Befugnisse zur Verfolgung von Straftaten erhöht werden, dann stellt sich aus meiner Sicht auch die Frage, ob hier an Ursachen oder an Symptomen herum gedoktert werden soll. Ohne die Berücksichtigung sozialer Faktoren sind Kriminalstatistiken wenig aussagekräftig – auch wenn man einmal das Dunkelfeld beiseite lässt.

Und das ist der Punkt, der mir an der Veranstaltung doch gefehlt hat und den ich mir bei solchen Veranstaltungen für die Zukunft wünschen würde: Ladet Sozialarbeiter und Soziologen ein. Denn ohne sie bleibt das Bild stets durch Symptome und nicht durch Ursachen geprägt. Das Dunkelfeld dieser Veranstaltung war daher für mich die Vorstellung von wirklichen Alternativen im Bereich Ursachenforschung und Prävention. Und nein, ich meine nicht „präventive Polizeiarbeit“ durch Rasterfahndung, Profiling und Data-Mining. Diese wurde dort zu genüge thematisiert.

Links & Lesenswertes:

(Zeichnung: Charlotte von Hirsch)



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