Heißzeit

Sollte uns später einmal jemand fragen, was wir gemacht haben, als das Klima kippte, werden wir von Strandurlaub und Grillparties erzählen. Vielleicht werden wir es dann selbst nicht mehr glauben können.

Zwei Wochen lang drückt die Hitze nun schon aufs Gemüt. Die warme Luft steht und umzingelt einen sofort, so bald man sich auch nur einen Zentimeter aus der Luftschneise des Ventilators entfernt. Spiegel-Online rät, den Schlafanzug ins Tiefkühlfach zu packen. Ich frage mich, was für Wahnsinnige bei diesen Temperaturen überhaupt nachts etwas anziehen. Das Wassereis ist im Supermarkt ausverkauft. Der Kioskbetreiber sagt, hätte er vor Monaten strategisch Ventilatoren gehortet um sie jetzt zu verkaufen, wäre er nun ein gemachter Mann. Natürlich hat er recht. Aber wer weiß das schon vorher. Ich lege meinen Wintermantel angefeuchtet ins Eisfach. Den will ich anziehen, wenn es wieder allzu schlimm ist. Aber nur ganz kurz. 2 Minuten Ruhe – dann geht das Schwitzen wieder von vorne los.

Normalerweise fällt die Entscheidung zum Strandurlaub wegen des guten Wetters vor Ort. Wir fahren zur Ostsee, weil die Wetter-App sagt, es sei dort 10 Grad kälter. Und windig. Echter Wind, nicht aus dem Ventilator. Nun ja, die Aussicht auf polnisches Essen mag ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Und dass meine Begleitung sagt, sie sei seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr an der Ostsee gewesen. Als uns wenige Stunden später in Międzyzdroje das Meer Sand zwischen die Zehen spült, ist es warm. An der Ostsee ist es in diesem Jahr genauso warm wie am Mittelmeer, heißt es. 20 Grad an der Oberfläche – neuer Rekord. Trotzdem kühler als Berlin. Abends trinken wir Bier am Strand. Gegen Mitternacht ziehe ich einen Pullover an und bereue nichts. Daheim hätte ich um diese Uhrzeit zum Einschlafen Eis essen müssen.

In Kalifornien löschen sie während dessen den größten Waldbrand in der Geschichte der USA. In Griechenland auch. In der Bild fragt während dessen Ex-Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), ob er ein Klima-Killer sei, wenn er bei diesem Wetter einfach nur froh ist, seine Wurst grillen zu können. Der Text wäre in 50 Jahren ein klasse Beleg fürs Geschichtsbuch. Um zu zeigen, wie wahnsinnig wir waren. Am liebsten würde ich mich über Buschkowskys Grünen-Bashing empören, doch dann denke ich an die 8 polnischen Würste in meinem Kühlschrank und lasse es lieber. Millionen anderen neunmalklugen Bildungsbürgern geht es ähnlich. Das Bio-Plastik für den Kaffee-To-Go wiegt nicht einmal ansatzweise den letzten Urlaubsflug auf. Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach. Wir haben uns daran gewöhnt, eine Katastrophe zu sein.

Elon Musk hat ausnahmsweise recht

Als Tesla-Gründer Elon Musk vor kurzem danach gefragt wurde, was wohl die dringlichste Aufgabe der Menschheit sei, antwortete er: Wir müssen den Mars besiedeln. Was zunächst wie ein PR-Gag wirkt, ist bei näherer Betrachtung gar nicht so unvernünftig. Denn 150 Jahre nach Beginn der Industrialisierung führt sich der Mensch immer noch auf, wie ein Teenager bei einer Abrissparty. Ein Morgen danach ist nicht vorgesehen. Das ist nicht nur irrational. Es ist dumm. Kein Wunder, dass der Plot gefühlt jedes zweiten Science-Fiction-Blockbusters sich darum dreht, dass mit zu viel Intelligenz ausgestattete Roboter die Menschheit auslöschen wollen.

Ich kann nachvollziehen, warum wir Menschen gerne Katastrophenfilme sehen. Die alltäglichen Probleme werden angesichts der Frage von Leben und Tod sehr klein. Der dröge Alltag weicht von ganz alleine. Alles geht Schlag auf Schlag. Tabula rasa. Alles neu. Die gesellschaftliche Ordnung gilt nicht mehr. In jedem Mensch schlummert ein verkannter Action-Hero, das ahnen wir alle insgeheim. Nebenbei findet man auch noch die große Liebe. Abspann. Ende. Danach wischt man sich die Popcorn-Krümel von der Hose. Und ist irgendwie doch froh, in der behaglichen Sicherheit der eigenen vier Wände einschlafen zu können. Der Treibhauseffekt hingegen, wäre als Film ein grandioser Reinfall. Wer will schon sehen, wie Brunnen langsam aber stetig versiegen? Oder wie ein Gletscher schmilzt. Oder Wasser steigt? Niemand. Die alltägliche Katastrophe ist zu gewöhnlich. Wir haben uns daran gewöhnt.

Das war nicht immer so. Die meisten Menschen erinnern sich noch sehr genau an den Moment, als sie als Kind vom Treibhauseffekt erfuhren. Ich habe bei meiner Oma im roten Zimmer auf dem Fernsehsessel gesessen. Im viereckigen Kasten lief eine Dokumentation. Das Meer tobte, als ein Stück Schelfeis abbrach. Der Sprecher sagte, der Meeresspiegel werde durch die Erderwärmung ansteigen. Eine winzige Temperaturerhöhung würde ausreichen. Einem kleinen Kind jagt so etwas gewaltige Angst ein. In den Tagen darauf suchte ich in jedem Zimmer den höchsten Punkt. Den würde ich schnell erklimmen, falls das Wasser kommt. Erst nach einer Woche traute ich mich, meine Eltern zu fragen, ob wir wirklich bald alle sterben müssten. Sie erklärten mir, dass das nicht so schnell gehe. Ganz Naturwissenschaftler leugneten sie allerdings nicht, dass es irgendwie schon auf eine Katastrophe hinauslaufen werde. Nur eben nicht heute. Oder morgen. Dass ich immerhin nicht Gefahr lief, im Schlaf zu ertrinken, beruhigte mich trotzdem ungemein. Als Kind ist übermorgen immer weit, weit weg.

In meinem Jugendzimmer hing später eine Karte der Antarktis. Ich habe sie heute noch. Natürlich ist sie längst veraltet. Die Amundsen-See vor der Westküste ist nun eisfrei. Als ich meinen Eltern erzählte, ich wolle Gletscher erforschen, hielten sie es für einen Witz. Damit verdient man kein Geld, sagten alle. Doch einer, dem ich es erzählte, nickte: „Gute Wahl. Vernünftig.“ „Warum denkst Du das?“, wollte ich wissen. „Na, weil wenn die verfügbaren Erdölreserven erschöpft sind, die unter der Antarktis dran sein werden. Das ist heute noch zu teuer, wegen der Kälte. Aber es soll ja wärmer werden…“ Vielleicht war das einer der Gründe, warum ich dann doch nicht Gletscherforscher wurde. Es muss traurig sein, etwas beim Sterben zuzusehen. Ich kann Elon Musk mit seiner Mars-Mission irgendwie verstehen. Das ist alles so kaputt hier, da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Dann lieber alles auf Neu.

Das Ozonloch wächst wieder

Jammern ist einfach. Nur wer was macht, kann was falsch machen. Es gibt kaum ein Negativ-Etikett, das den Grünen so penetrant anhaftet, wie das der „Verbotspartei“. Will man einen Grünen so richtig auf die Palme bringen, haut man das einfach mal raus und schaut was dann passiert. Christian Linder macht das gerne. Die AfD zelebriert es geradezu. Die Grünen, das sind die, die dem armen Buschkowsky mit ihrem Veggie-Day auch noch seinen Grillabend madig machen wollen. „Diesel-Hasser“. Da ist es endlich mal am Baggersee genauso warm, wie auf Gran Canaria, und dann darf man sich noch nicht einmal freuen, ohne gleich für ein Monster gehalten zu werden.

Ob der Klimawandel denn nur schlecht sei, fragt mich einer auf Twitter. Wer so denkt meint auch, Tschernobyl sei gut für die Gegend gewesen, schließlich sei so das größte Naherholungsgebiet der Ukraine entstanden. Nur will da auch heute noch leider keiner mehr als 12 Stunden Urlaub machen. Die Reichen sind weggezogen. Die Armen sammeln noch heute Pilze im Wald. Positiv denken ändert nichts an der Wirklichkeit. In wenigen Jahren wird der Klimawandel die Fluchtursache Nummer Eins sein. In Amsterdam werden sie Deiche für Milliarden aufschütten. In Kalifornien Waldbrände mit immer größeren Flugzeugen löschen. Die EU legt vielleicht Hilfen für Bauern auf. Im Rest der Welt werden Bürgerkriege ausbrechen.

„Verbotspartei“ ist ein Schimpfwort, das direkt aus dem liberalen Wolkenkuckucksheim zu kommen scheint. Ein Gesetzbuch, das einen freundlich bittet, etwas nach Möglichkeit sein zu lassen (wenn es keine Umstände bereitet), ist mir jedenfalls noch nicht untergekommen. Die meisten Verbote in diesem Land wurden im übrigen nicht etwa von den Grünen, sondern von den großen Volksparteien erlassen. Einige davon waren zudem ausgemachter Unsinn, wie etwa, dass Frauen vor nicht allzu langer Zeit die Erlaubnis ihres Mannes einholen mussten, bevor sie einen Job annehmen durften. Oder die Strafbarkeit homosexueller Beziehungen. Dagegen ist eine Debatte um das Verbot von Einweg-Plastiktüten oder eine Förderung (!) von Veggie-Days in Kantinen doch Kindergeburtstag.

Als ich 6 Jahre alt war, wurde das Treibhausgas FCKW verboten. Das war damals DER große globale Erfolg der Klimaschützer. Es lag ein Hauch von Hollywood in der Luft. Die Menschheit zog an einem Strang. Auch Jahre danach prangte noch auf den Sprühdosen einiger Deo- und Haarspray-Hersteller „FCKW-frei“ – ganz so, als wäre es ein Feature und nicht längst verpflichtend. Die Geschichte könnte an dieser Stelle zu Ende sein. Ist sie aber leider nicht. Das Ozonloch über der Antarktis wächst heute wieder. Forscher messen hohe Mengen FCKW, die offenbar vor allem in China freigesetzt werden. Die Folgen davon werden wir noch in 50 Jahren merken, denn das Zeug braucht Jahrzehnte bis es abgebaut ist. Laut BBC soll das Gas in großem Stil bei der Wärmedämmung neuer Häuser zum Einsatz kommen. FCKW ist einfach unschlagbar billig. So ist er, der Mensch. Oder besser gesagt: So ist er, der Kapitalismus. Freundlich Bitten bringt einen scheiß.

Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach…

…Das gilt auch für mich mit meinen 8 polnischen Würsten im Kühlschrank. Mit meinen Kurztripps nach Bukarest, Palma und Israel. Und der Autofahrt an die polnische Ostsee, obwohl es der Wannsee auch getan hätte. Mit meiner ohne Mehrweg-Becher ausgelebten Kaffee-Sucht. Es würde schon helfen, zumindest die Standardeinstellung zu ändern. Es ist einfacher sich klimafreundlich zu verhalten, wenn dies die Regel und nicht die Ausnahme ist. Die Welt ist nicht unter gegangen, seit es im Edeka nur noch Jute- oder Papiertaschen gibt. Oder Pfand. In der Bäckerei bekomme ich seit neuestem Rabatt, wenn ich mit Mehrwegbecher komme. Je mehr Fahrradwege in meinem Viertel, desto bereitwilliger steige ich um. Wer weiß: Vielleicht ist Bioplastik gar nicht mehr so viel teurer, wenn er in die Massenproduktion geht. Aber was weiß ich schon. Einen Versuch wäre es trotzdem wert.

Kommt mir nicht mit „Verbotspartei“. Nennt mir eine, die keine wäre. Klimaschutz ist kein Hipster-Luxuswunsch. Es geht dabei längst ums Überleben. Ich persönlich begrüße sinnvolle Steuern, Verbote und Anreize zum Schutz des Klimas. So lange wir das so hinbekommen, dass die Lasten gerecht verteilt werden – no problem with that! Die Wahrheit ist doch die: Mit freiwilligen Maßnahmen Einzelner ist es nicht getan. Niemand will dem Buschkowsky seine Wurst wegnehmen. Das Problem ist eher, dass es immer noch so unglaublich rentabel ist, auf Kosten des Klimas zu wirtschaften. Und zwar für Unternehmen. „Nach mir die Sintflut“ ist kein Businessplan.

Auf dem Mars ist es übrigens deutlich kälter.


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10 Kommentare

  1. Raben-Kalender (Haffmans Verlag bei Zweitausendeins), Kalenderblatt vom 18.08.2018:
    „Es rettet uns kein höh’res Wesen,
    kein Gott, kein Kaiser noch Tribun.
    Uns aus dem Elend zu erlösen
    können wir nur selber tun!“
    (Die Internationale, Nachdichtung von Emil Luckhardt)

  2. Das Problem ist hier genau beschrieben. Ein paar Flugreisen, etwas Fleisch, ein Ausflug an die Ostsee. Weil das Millionen so machen, werden Autos und Flugzeuge produziert und verwendet und viel zu große Wohnungen produziert (Stichwort Heizung). Jeder möge bei sich anfangen, bevor er auf andere zeigt. Das bedeutet: gnadenloser Verzicht. Da reicht der Mehrwegbecher und eine Windrad bei weitem nicht! Leider wird die totalumstellung unserer Lebensweise keine Mehrheit finden und (Öko)Diktaturen, Stichwort WBGU, sind nicht so angesagt. Also bleibt Plan B: Adaption an eine sich ändernde Umwelt.

  3. Sorry, aber was ist das? Eine Kombination aus Panik und ich kann nicht anders? Ich weiß genau, dass ich selbst nicht betroffen bin, aber es liest sich gut? Das ist ungefähr wie eine Flut auf das Haus des Nachbarn zukommen sehen und die Mitbewohner des eigenen Hauses aufrufen: „Heute bitte, bitte nicht duschen“. Es ist an der Zeit zu überlegen, wo die Menschen wohnen werden, deren Land überflutet wird, ihnen zu helfen, eine neue Heimat aufzubauen.

  4. Danke – genial: „Nach mir die Sintflut“ ist kein Businessplan.

    Irgendwie einfach, aber scheinbar doch so schwer zu verstehen?!

  5. Ich kann mich noch erinnern, dass es mal eine gewisse Überzeugungskraft hatte, wenn jemand mit Ahnung von der Materie feststellte, dass eine Maßnahme vernünftig sei. Vernünftig ist ja leider völlig aus der Mode. Aber ich freue mich schon sehr auf das Revival. In deinem Text finde ich viele Argumente für die Wiederbelebung der guten alten Vernunft. Danke dafür!

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