Was ich noch nie über mich wissen wollte

Im vergangenem Jahr habe ich ein Experiment gewagt. Ich wollte wissen was man allein anhand der Datenspur über uns in Erfahrung bringen kann. Für die Recherche zu meinem Buch „Die Daten, die ich rief“ habe ich mein Nutzerverhalten geändert, mir einen Fitness-Tracker angeschafft, mich bei Netflix angemeldet und mit der DeutschlandCard eingekauft. Anschließend habe ich meine Nutzerdaten abgefragt. Der Blick auf diese Daten und auch der Weg dahin waren eine traumatisierende Erfahrung. Die „Lessons Learned“ daraus würde ich gerne mit Euch teilen.

Was habe ich gelernt?

Studien zeigen: Überwachung führt zu Verhaltensänderungen. Ich kann das nur bestätigen. Oft war da die Schere im Kopf die sagt: „Willst Du das wirklich nachher in deinem Datensatz haben?“ Diese Frage sollten wir uns viel öfter stellen. Denn nur weil wir unsere Daten nie abfragen, heißt es ja nicht, dass sie nicht trotzdem da wären. Je länger das Experiment dauerte, desto stärker wurde jedoch ein weiterer Effekt: Wer sich jeden Tag überwachen lässt, gewöhnt sich irgendwann daran. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, welcher der beiden Effekte schlimmer ist.

Bei Amazon und Netflix konnte ich meinen Clickstream einsehen. Das ist eine Übersicht über alle Klicks, die ich getätigt habe. Eine solche Übersicht vor sich zu sehen ist ziemlich verstörend. Es ist ein virtuelles Bewegungsprofil. Wann ich bei Amazon in der Kategorie Baby und wann in der Rubrik für Alkohol unterwegs war ist schon recht privat. Nach wie viele Sekunden ich irgendwo wegklicke auch. Oder welche Rezensionen ich intensiver angeschat habe. Oder wann ich nach Ratgebern für bestimmte Krankheiten suchte. Aus den Büchern und Autoren lässt sich ein detailliertes politisches Profil erstellen. In meinem Fall kann es irreführend sein. Ich schreibe viel über die AfD und recherchiere zu diesem Zweck auch öfters nach Büchern rechter und rechtsextremer Autoren. Welches Bild hat jemand von mir, der mich nicht kennt und nur diesen Suchverlauf sieht?

Bei Netflix konnte ich sehen, wann ich auf Stop gedrückt habe und an welchen Stellen im Film ich vorgespult habe. Die letzte Folge von „The Killing“ habe ich gleich mehrfach gesehen. Wahrscheinlich wegen dem romantischen Ende. Ich bin sehr froh, dass RTL2 keinen Track-Record davon hat, welche Trash-Sendungen ich mir als Jugendliche nach der Schule angesehen habe. Für die heutige Generation gilt diese Provatsphäre nicht mehr. Bei ihnen kann man sogar genau nachverfolgen, wer welche Sex-Szene mehrfach schaute. Klar wollen Unternehmen „ihren Dienst optimieren“. Ich will meine Privatsphäre optimieren. Und jetzt?

Nutzerdaten sind für Unternehmen bares Geld. Wer mein Konsumprofil kennt, kann mich schließlich mit maßgeschneiderter Werbung locken. Gerne wird behauptet, die Nutzer bekämen doch eine angemessene Gegenleistung für ihre Überwachung. In dieser Hinsicht ernüchternd war das Ergebnis meines „DeutschlandCard“-Experiments. Für die Information, dass in meinem Warenkorb Schnaps, Tabletten gegen Sehschwäche sowie eine Zeitschrift über Beziehungsprobleme landen, habe ich Bonuspunkte im Wert von umgerechnet 26Cent bekommen, die z.B. auf ein Kürbis-Kochbuch angerechnet werden könnten. Ist das ein fairer Preis für diese Information? Oft wird gesagt, bei Google und Facebook werde man eben überwacht, weil die Dienste kostenlos wären. Bei Netflix bin ich zahlender Kunde und trotzdem wird mitgeschnitten wann, ich bei einer Folge Black Mirror vorgespult habe.

Wie schwer war es an die Daten zu kommen?

Der Weg zu einer vollständigen Datenauskunft ist lang und steinig. So manchem Freund habe ich nicht so oft (im ganzen Leben!) Briefe geschrieben, wie Amazon. Stunden habe ich in Hotlines damit verbracht, mich im Kreis durchstellen zu lassen – bis endgültig klar war, dass sich niemand für mich zuständig fühlt. Einige US-Unternehmen bieten gar keinen Telefonsupport an und versuchen Nutzer durch Standard-Formulare von jeglichem Kontakt abzubringen. Die selben Unternehmen, die Millionen dafür ausgeben, jeden meiner Mausklicke auszuwerten, damit ich mehr kaufe und länger bei ihnen rumhänge, tun so, als wären sie bei einer simplen Anfrage „überfordert“. Schon komisch, oder?

Von der ersten Anfrage bei Amazon hat es mehrere Monate gedauert, bis ich mehr oder weniger alles hatte, was ich angefordert habe. Bei Netflix war es fast ein ¾ Jahr. Nicht alle Antworten sind rechtzeitig zur Manuskriptabgabe eingetrudelt. Fast immer gibt es zur Antwort Erklärungen die darlegen, welche außerordentlichen Mühen das Unternehmen zwecks Beantwortung meiner Anfrage auf sich genommen hätten. Dabei handelte es sich keineswegs um einen „Extra-Wunsch“, dem aus Kulanz nachgegeben wurde – das Recht auf Datenauskunft ist die aktuelle Rechtslage. Wenn es Mühen bereitet, derartige Kunden-Anfragen zu beantworten, dann bedeutet dies: Unternehmen müssen ihre Prozesse überdenken – und nicht Kunden ihre Anfrage. Wenn es als nicht vertretbarer Aufwand angesehen wird meine Klicks des letzten Jahres rauszusuchen, wüsste ich da eine einfache Lösung: Nicht mitloggen.

Es ist für Nutzer sehr schwer zu bewerten, ob die Datenauskunft eines Unternehmens vollständig ist. Medienberichten zufolge speichert Google bei der App von Maps Standortdaten auch ohne Aktivierung des Standortverlaufs. Das Beispiel zeigt: Nicht nur die von Google bereitgestellten Nutzungsdaten beinhalten lediglich einen Bruchteil der gesammelten Informationen. Gleiches gilt für Facebook. Nutzer können nur einen winzigen Teil ihrer Daten einsehen. Was der „Like-Button“ alles erfasst, weiß keiner. Amazon wiederum „informierte“ mich zunächst per Standardantwort, alle meine Daten seien in der Bestellhistorie online einsehbar. Das ist natürlich Unsinn. Die wirklich interessanten Daten musste ich den Unternehmen geradezu aus der Nase ziehen. Diese Salami-Taktik ist wahrscheinlich Absicht. Man hofft, dass möglichst viele Nutzer aufgeben. Die Rechnung geht leider häufig auf.

Was habe ich über mich erfahren?

Durch das Experiment bin ich mir ein ganzes Stück näher gekommen, als mir lieb ist. Dank meines Amazon-Clickstreams weiß ich beispielsweise, dass ich oft Stunden damit verbracht habe, Produkte zu vergleichen. Wenn ich das in Arbeitszeit umrechne, habe ich dadurch oft nicht wirklich etwas gewonnen. Im Zweifel war ich am Ende noch unzufriedener, weil mich die Summe der Optionen überwältigt hat.

Dank meines Netflix-Datensatzes weiß ich außerdem, dass ich ein typischer „Purge-Watcher“ bin. Ich sehe Serien zwanghaft bis zum bitteren Ende. Manchmal schummel ich und spule ganze Staffeln einfach nur vor. Wenn man die Bilanz eines so versauten Abends vor sich sieht, wird einem schon anders. Die Autoplay-Funktion habe ich danach abgestellt. Jetzt muss ich mich zumindest wieder aktiv für die nächste Folge entscheiden.

Gleiches gilt für lange Film-Suchen bei Netflix. Wenn ich nicht weiß, was ich bei Netflix eigentlich will, will ich mich of genug einfach nur berieseln lassen. Danach gehts mir meist nicht besser. Ein Blick auf den eigenen Datensatz hilft, den Konsum runter zu schrauben.

Gleich zu Beginn des Experiments habe ich außerdem eine Tracking-App installiert, die misst, wie oft ich pro Tag die Pin eingebe (64) und wie Zeit ich mit dem Smartphone verbringe (2h). Hochgerechnet bin ich einen Monat pro Jahr damit zu Gange. Das ist im Vergleich im guten Mittelfeld. Das Smartphone ist schließlich Telefon, Walkman, Taschenlampe, Navigationsgerät, PC, Zeitung, usw. in einem. Trotzdem versuche ich seitdem, das Smartphone weniger zu nutzen. Notifications stelle ich grundsätzlich aus. Es ist wichtig sich klar zu machen, wie stark einen ständige Unterbrechungen aus dem was man gerade macht herausreißen. Der Mensch ist nur begrenzt Multi-Tasking-Fähig. Gerade wenn man sich auf eine Aufgabe konzentrieren will, sind ständige „Like“ oder „News“ Nitifications Gift für die Konzentration. Das Gerät ist meist stumm gestellt und immer häufiger bleibt es daheim. Eine Freundin hat auf ihrem Anrufbeantworter folgenden Text: „Zum Glück sind wir nicht immer alle erreichbar“. Da ist etwas Wahres dran.

Fazit
Hat sich das Experiment geloht? Ja auf jeden Fall. Bei Spiegel-Online und Zeit-Online könnt ihr meine Erfahrungen mit den Datenauskünften zu Amazon und Netflix nachlesen. Die Antwort von Netflix kam leider erst nach dem Drucktermin von meinem Buch. Würde ich es wieder machen? Na ja… sagen wir einmal so: Fürs erste habe ich genug. Eigentlich bin ich ganz froh, dass ich datenhungrige Dienste nun wieder meiden kann.

Es ist eine Sache zu wissen, dass Amazon alles, was ich anklicke aufzeichnet. Es ist etwas vollkommen anderes, die Daten eines Jahres später schwarz auf weiß in Form endloser Tabellen vor sich gesehen zu haben. Ich kann jedem daher nur ans Herz legen, bei seinen Diensten eine Anfrage zu stellen. Das ist eine Erfahrung, die man nicht vergisst.

Links

Vortrag

Auf dem 35C3 habe ich zusammen mit der wunderbaren Letty einen Vortrag über meine Datenbfrage bei Amazon gehalten. Darin haben wir im Detail einmal aufgeschlüsselt, was sich genau daraus über mich herauslesen lässt. Spannend wird es vor allem, wenn man sich einmal überlegt, dass sich auch Strafverfolgungsbehörden solche Profile anschauen könnten. In meinem Fall würde man dort Killer-Spiele, ein Spaß-Shirt für Chemiker in Schwarz, einen verdächtigen Kochtopf und eine Sturmmaske finden. Es dürfte nicht schwer fallen, daraus falsche Schlüsse zu ziehen….


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10 Kommentare

  1. Es gibt Alternativen für alle die es lieber wo anders kaufen wollen. Ich verlinke auch nie auf Amazon.

  2. Liebe Katharina Nocun,
    ich finde deine Arbeit und dein Buch zu diesem Thema sehr wichtig und interessant. Wieso ist dein Buch „Die Daten, die ich rief“ leider trotzdem bei Amazon – einem Konzern den du ausdrücklich kritisierst – erhältlich?

  3. Hi Kattascha, bei deiner Buchvorstellung am 2018-10-15 in Bremen werde ich bestimmt anwesend sein, wenn nicht zwischendurch die Welt untergeht. Mein Freund Klaus, der bei Attac aktiv ist, hat mich auf die Veranstaltung hingewiesen.
    Deine (unsere) Arbeit finde ich höchst wichtig. Und ich finde es gut, das sehr große und gefährliche Thema von verschiedenen Seiten anzugehen. Du machst es mehr von der politischen oder gesellschaftlichen Warte aus, ich mehr von der technischen. Meine Website: pc-fluesterer.info. Da ich kein Blatt vor den Mund nehme, was politische Implikationen angeht, wurde und wird meine Website angegriffen aus: Türkei, Russland, USA. :-)

  4. denk bei netflix ist man nicht kunde, nur weil man ein bisschen was zahlt, das kann deren kosten (copyrights und bandbreite) nicht decken, also machen sie auch geschäft mit den daten.

    und produkte und güter kosten durchaus ja auch oft lager- und sondergebühren.

    als aktivistin bist du ja gefahrengut noch dazu. :P

  5. > Die selben Unternehmen, die Millionen dafür ausgeben, jeden meiner Mausklicke auszuwerten, damit ich mehr kaufe und länger bei ihnen rumhänge, tun so, als wären sie bei einer simplen Anfrage „überfordert“. Schon komisch, oder?

    Gar nicht komisch. Support wird geleistet nur für Kunden. Und du bist nicht die Kundin…

  6. Ich weiß, dass ich zu viel sitze. Sonst weniger aufregendes. Man konnte aber daraus ablesen ob ich wenn ich abends feiern war eher gestanden oder getanzt habe. Ob ich gestresst war. Das alles sieht man am Puls ganz gut.

  7. Ich bin darüber gestolpert, dass in der Einleitung des Artikels ein Fitness-Tracker angeschafft und dann nie wieder erwähnt wird. Hat der keine interessanten (oder keine überraschenden) Daten geliefert?

  8. Ich will nicht Pro oder Contra Usertracking diskutieren.

    Ich habe eher ein Problem damit, dass trotz der gewaltigen Datenmengen der Benefit für mich als Kunden ausgesprochen mies ist. Kauft man sich auf Amazon einen Einmal-Artikel (Waschmaschine, Drucker o.ä.) werden weitere Artikel der gleichen Gruppe (nämlich Waschmaschine, Drucker o.ä.) empfohlen. Gleiches gilt für Netflix und Amazon Video, die teilweise haarsträubende Videos/Serien empfehlen. Bei Musik erhalte ich auf Spotify halbwegs brauchbare Ergebnisse. Google Play, Deezer und Amazon versagen. Die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter oder LinkedIn finde ich von der Qualtität der Uservorschlägen ebenfalls eher unterirdisch. Ratingunternehmen wie z. B. die Schufa agieren äußerst seltsam. Wohnst du in der falschen Gegend oder wurde eine Schufaanfrage getätigt, sinkt deine Bonität.

    Ich sehe starke Parallelen zum Asterix&Obelix Band „Der Seher“ :-/

  9. Oh ja, das ist echt gruselig. Ich war vor über 20 Jahren mal in einem Forum aktiv, und mein Account wurde von eimem Spammer oder Troll gehackt, so dass ich dort gesperrt wurde. Selbst heute, über 20 Jahre später, findet man diese Information noch. Und das hat noch nicht mal was mit Twitter, Facebook, Amazon oder Ähnlichem zu tun. Nach dieser Erfahrung damals habe ich mir die Geschäftsbedingungen von Twitter sehr genau durchgelesen, und erst mal eine Woche darüber nachgedacht, ob ich mich dort registrieren soll. Ich habe mich dagegen entschieden. Das Gleiche bei Facebook, Amazon und wie sie alle heissen. Und trotzdem finden sich von mir immer noch genügend Spuren im Internet. 2 Stunden Recherche in den üblichen Suchmaschinen, und schon habe ich mein Profil der letzten 30 Jahre vor mir ausgebreitet. Vielleicht nicht so viele wie bei deinem Versuch, aber immer noch zu viel für meinen Geschmack.

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