“Wir verkaufen viel zu viel Hokuspokus” – #DerApotheker über esoterische Pseudomedizin

Studien belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen esoterischen Überzeugungen zum Thema Gesundheit und der Ablehnung von evidenzbasierten Verfahren (insbesondere Impfungen) gibt. Die Pandemie hat eine längst überfällige Diskussion über die Rolle der Esoterik im Gesundheitswesen ins Rollen gebracht. Bremens Ärztekammer strich 2020 Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung, die Mehrheit der Landesärztekammern in Deutschland zog alsbald nach. Trotzdem wandern jedes Jahr immer noch große Mengen Globuli & Co. über Apotheken-Landentheken. Der Bestseller-Autor #DerApotheker (Pseudonym) sieht das extrem kritisch und wünscht sich ein Umdenken. Warum das so ist, erklärte er mir im Interview.

Unter dem Pseudonym #DerApotheker schreibst Du sehr erfolgreich über verbreitete Irrtümer zum Thema Medikamente und stellst diese richtig. Auf Social Media postest Du auch immer wieder Erlebnisse, die sich um Esoterik in der Medizin drehen. Warum ist Dir das ein Anliegen? 

#DerApotheker: Ich möchte darüber aufklären, dass nicht alles, was man in der Apotheke kaufen kann, auch eine nachgewiesene Wirkung hat. Wir verkaufen viel zu viel Hokuspokus. Und das ärgert mich. Ich meine, wir Apotheker*innen haben ein sehr hartes naturwissenschaftliches Studium hinter uns. Das sollte eine Apotheke automatisch zu einem Ort der Naturwissenschaften machen. Jede*r, der zu uns kommt, und um ein Arzneimittel bittet, sollte sich sicher sein können, dass das, was er oder sie dann erhält, auch tatsächlich eine nachgewiesene Wirkung hat. Es kann einfach nicht sein, dass Kolleginnen und Kollegen irgendwelche Pseudomedizin – wie die Homöopathie – empfehlen. Das wirft ein schlechtes Licht auf unseren Beruf. 

Einige sagen, man solle es doch entspannt sehen, wenn Menschen bei leichten Beschwerden wie Einschlafstörungen Globuli oder bei Nervosität Bachblüten-Tropfen nehmen – es schadet ja schließlich nicht und vielleicht hilft der Placebo-Effekt. Wie siehst Du das? 

#DerApotheker: Wenn jemand mit dem Placeboeffekt tatsächlich besser einschlafen kann, bzw. er gegen die Nervosität hilft, sehe ich da im Grunde keine Probleme. Empfehlen würde ich es jedoch trotzdem nicht, da ich grundsätzlich nur Mittel empfehle, die auch tatsächlich eine nachgewiesene Wirkung haben. Allerdings gefällt es mir auch nicht, wenn die Placebowirkung dann als Wirkung des Pseudomedizin-Mittelchens missinterpretiert wird, obwohl es diese nicht haben kann. Das wiederum führt dazu, dass man Homöopathie und Co. dann auch bei anderen Beschwerden einnimmt und deshalb vielleicht auf (richtige) Medizin verzichtet. Es gibt Menschen, die an Krebs sterben, der gut hätte behandelt werden können, wenn man nicht auf seinen Heilpraktiker oder seine Heilpraktikerin vertraut hätte, der oder die den Krebs lieber homöopathisch behandeln wollte. Ich verstehe auch keinen Spaß, wenn Kinder unnötig leiden müssen, weil ihre Eltern meinen, es besser zu wissen, als der Arzt oder die Ärztin, weshalb sie das nötige Antibiotikum verweigern und stattdessen das Kind lieber homöopathisch behandeln wollen. Außerdem missfällt es mir, dass Pharmafirmen mit Mittelchen, die keine Wirkung über den Placeboeffekt hinaus haben, Geld verdienen. 

In der Apotheke kommt man ja manchmal auch mit seinen Kundinnen ins Gespräch. Gab es da ein oder mehrere Erlebnisse, die Dir in Bezug auf esoterische Überzeugungen besonders in Erinnerung geblieben sind? 

#DerApotheker: Ich hatte schon alle möglichen Diskussionen mit Pseudomedizinfanatikern. Eine ältere Frau meinte mal ziemlich herablassend zu mir, ich werde schon noch verstehen, dass die Homöopathie wirkt, wenn ich erstmal älter werde. Äh, nein. Mein Alter hat nichts damit zu tun, dass die Theorien hinter den Mittelchen so absurd sind, dass sie schon alleine deshalb gar nicht wirken können. Früher habe ich immer versucht, diese Hardcore-Fanatiker mit Fakten aufzuklären. Irgendwann habe ich dann verstanden, dass es nichts bringt. Wenn diese Menschen damit argumentieren, dass du eh nur von der Pharmaindustrie gekauft bist, kannst du dir jegliche Diskussion sparen. Ich sage immer, dass es zwei Arten von Menschen gibt, die Homöopathie anwenden: Die, die es nicht besser wissen und die, die alles besser wissen. Für erstere besteht zumindest Hoffnung. Das lässt sich auch auf jede andere Pseudomedizin übertragen. 

Homöopathie ist vielen ein Begriff, hierzulande ist aber auch die sogenannte „anthroposophische Medizin“ verbreitet, die sich an den Überzeugungen Rudolf Steiners ausrichtet. Auch hierzu gibt es passende Präparate. Hast Du Dich auch damit beschäftigt? 

#DerApotheker: Ja, und wenn du mich fragst, ist die Theorie hinter der anthroposophischen Medizin noch absurder als die, hinter der Homöopathie. Aber im Endeffekt haben sie eines gemeinsam: Sie haben beide keine Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht und in meinen Augen deshalb auch keine Berechtigung, in der Medizin eingesetzt zu werden. In den Medien wurde in den letzten zwei Jahre immer wieder über einen Zusammenhang zwischen esoterischen Überzeugungen und einer Ablehnung von Impfungen berichtet und auch wissenschaftliche Studien bestätigen diesen Zusammenhang. 

Einige Anhänger der Anthroposophie, die an Steiners Konzept von Wiedergeburt glauben, meinen etwa, ein Masernfieber führe dazu, dass sich ein Kind besser im neuen Körper einrichten können… begegnen Dir solche Überzeugungen auch in Deiner Arbeit? 

#DerApotheker: Also dass überzeugte Pseudomedizinanwender Impfgegner sind, fällt mir auch immer wieder auf. Was die andere Frage angeht: Nein, so extreme Anthroposophen erlebe ich tatsächlich nicht. Ich würde sogar eher schätzen, dass fast alle Menschen, die sich anthroposophische Mittelchen bei mir in der Apotheke gekauft haben, nichts mit Anthroposophie zu tun haben. Die meisten anthroposophischen Mittelchen verkaufe ich an schwangere Frauen oder an Frauen, die gerade ein Kind bekommen haben, weil sie ihnen von ihrer Hebamme empfohlen wurden. In über 90 Prozent der Fälle, wenn in der Apotheke “Meine Hebamme hat mir empfohlen…” zu mir gesagt wurde, folgte danach entweder etwas homöopathisches oder etwas anthroposophisches. Ich halte das für bedenklich, weil diese Hebammen häufig auch sonst seltsame Ansichten haben, wie mir das ein oder andere Mal mitgeteilt wurde. Ansonsten habe ich früher in einer Apotheke gearbeitet, zu der ein Ärztehaus gehörte, in dem ein Onkologe gearbeitet hat, der öfter mal die anthroposophische Misteltherapie bei seinen Patient*innen angewendet hat. Das fand ich auch immer bedenklich. So richtige Hardcore-Anthroposophen kamen eigentlich nicht wirklich vor. 

Einige Heilpraktiker behaupten, mit Homöopathie Impfungen „ausleiten“ zu können. Da gab es ja mal diesen Skandal um eine deutsche Apotheke, die aus Impfstoff eine homöopathische Lösung erstellt und diese verkauft hat… Wird so etwas auch nachgefragt? 

#DerApotheker: Nein. Zumindest nicht bei mir. Ich kann mir schon vorstellen, dass sowas in Schwurbel-Apotheken Thema ist. Aber ganz ehrlich: Solange sie sich impfen lassen, ist mir das recht. 

Wurdest Du im Rahmen Deiner Arbeit auch mit Verschwörungserzählungen konfrontiert, etwas über ein angebliches Komplott von Pharmaindustrie zur Unterdrückung esoterischer Produkte? 

#DerApotheker: Also es gibt immer wieder diese Hardcorefanatiker (meistens Heilpraktiker), die dann damit anfangen, dass die Pharmaindustrie Homöopathie und Co. unterdrücken würde. Ich blocke dann aber immer gleich ab. Ich habe in der Apotheke weder die Lust darüber zu diskutieren, weil es sowieso nichts bringt, noch die Zeit. Ich denke schon, dass manche Menschen sich in ihrer Entscheidung, Pseudomedizin zu kaufen, bestätigt fühlen, weil sie sich einreden, dass man dieses „uralte Wissen“ unterdrücken will. Gerne auch mit der Behauptung, dass die Pharmaindustrie eh nur Interesse an den Dingen hat, an denen sie kräftig verdienen können.

Werden eigentlich auch in „Deiner“ Apotheke esoterische Präparate verkauft? Wenn ja, wie gehst Du damit um? 

#DerApotheker: Also zuerst muss ich dazu sagen, dass ich keine eigene Apotheke habe. Was für mich auch kein Thema ist. Keiner von uns empfiehlt Pseudomedizin und jeder rät davon ab. Aber wir verkaufen auch Pseudomedizin, ja! Jede Apotheke macht das, was auch daran liegt, dass einiges davon apothekenpflichtig ist. Auch Apotheken, die sich auf die Fahne geschrieben haben, homöopathiefrei zu sein, geben Homöopathie und andere Pseudomedizin ab, wenn es jemand unbedingt haben möchte bzw. wenn der Arzt oder die Ärztin es verordnet hat. In der Regel werden in Apotheken die Produkte ins Lager gelegt, die häufig nachgefragt werden. So auch bei uns. Aus diesem Grund haben wir die Mittelchen, die häufig nachgefragt werden, da. Aber wie erwähnt: Wir empfehlen sie nicht. 

Einige Krankenkassen übernehmen einerseits Globuli, obwohl es keine wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit abseits vom Placeboeffekt gibt und lassen andererseits Versicherte auf Kosten für nachweislich sinnvolle Hilfsmittel wie etwa Brillen sitzen. Wie findest Du das? 

#DerApotheker: Bach-Blüten werden nicht übernommen, da sie – zum Glück – nicht apothekenpflichtig sind. Homöopathie, Schüßler Salze und Mittelchen der anthroposophischen “Medizin” hingegen schon, da sie leider apothekenpflichtig sind und deshalb für Kinder unter 18 verordnet werden können. Was leider auch passiert. Ich finde das nicht in Ordnung. Einerseits wollen Krankenkassen immer Geld sparen, wie zum Beispiel mit Rabattverträgen, die immer wieder zu Ärger in der Apotheke führen, und andererseits wird das Geld einfach so für sinnlose Mittelchen zum Fenster rausgeworfen. Das ärgert mich. Es mag sein, dass nur ein kleiner Teil für Pseudomedizin draufgeht, aber dass überhaupt Geld dafür verschwendet wird, empfinde ich als Skandal. Vor allem müssen diese Kosten dann auch noch von jedem Mitglied der Krankenkasse getragen werden. 

Was würdest Du Dir als Lehre aus der Pandemie in Bezug auf den Umgang mit esoterischen Konzepten im Bereich Gesundheit wünschen? 

#DerApotheker: Während der Pandemie versuchten viele Schwurbler Geld mit mehr als fragwürdigen Mittelchen zu verdienen. Ich würde mir wünschen, dass Pseudomedizin komplett aus den Apotheken verschwindet und auch, dass Ärztinnen und Ärzte nur noch evidenzbasiert behandeln dürfen. Alles andere halte ich für Unsinn.


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Ein Kommentar

  1. Super Interview. Ich stimme fast allen vollständig zu.
    Aber ich glaube der Grund, warum Krankenkassen und auch schlaue Ärzte manchmal homöopathische Mittelchen verschreiben, ist gerade der Placebo-Effekt: Da kommt ein Elternteil mit ihren Kind und leichter Erkältung zum Arzt. Die Erwartungshaltung ist, dass sie was verschrieben bekommen. Statt dass mit Antibiotika oder sonst was draufgekloppt wird, gibt der Arzt ein Placebo und lässt die Zeit und den ‚Glauben‘ alles heilen. Gut für alle.
    Wenn er es nicht macht und sagt: „warten, dafür braucht es keine Medikamente“, geht der Patient zum nächsten Arzt und kostet dadurch noch viel viel mehr als die 2€ für Zuckerkügelchen.
    In a nutshell: Billig für die Gesellschaft und die KK, um die vom Arzt erkannten Hypochonder zu befrieden.

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