„Diese Kulturkampf-Rhetorik wird nur sehr schwer wieder weggehen“ – Annika Brockschmidt über „Amerikas Gotteskrieger“

Während seiner Amtszeit hat Trump zahlreiche Forderungen der religiösen Rechten umgesetzt. Die Autorin Annika Brockschmidt hat sich intensiv mit der Entstehung und dem heutigen Einfluss religiöser Hardliner-Gruppen beschäftigt und darüber ein Buch geschrieben: „Amerikas Gotteskrieger“. Wir haben in der aktuellen Folge des Denkangebot Podcasts ausführlich über den Einfluss christlicher Nationalisten auf die US-Politik gesprochen. Hier im Blog gibt´s eine gekürzte Fassung des Gesprächs.

Du sprichst in deinem Buch von „Amerikas Gotteskriegern“. Wen würdest Du zu dieser Gruppe zählen?

Brockschmidt: Vier von zehn US-Amerikanern identifizieren sich als weiße Christen. Da sind die weißen Evangelikalen mit 14% miteingeschlossen. Aber nicht alle weißen Evangelikalen sind Fundamentalisten, auch wenn die überwiegende Mehrheit dem christlichen Nationalismus zuzuordnen ist. Christlicher Nationalismus ist die Verschmelzung zweier Identitäten: Einmal des Amerikaner-seins und des Christ-seins. Damit sind aber explizit keine progressiven oder linken Christen gemeint, sondern nur jene, die sich mit sehr sozial-konservativen Werten, wie z.B. einer strengen Migrationspolitik identifizieren, oder Pro-Todesstrafe sind. Zwei Soziologen, Perry und Whitehead, haben 2020 ein Buch mit quantitativen Daten zu christlichem Nationalismus veröffentlicht. Demnach sind knapp mehr als die Hälfte aller US-Amerikanerinnen und Amerikaner entweder dem christlichen Nationalismus zugeneigt oder stehen ihm zumindest positiv gegenüber.

Was hat sich z.B. an US-Gerichten während Trumps Amtszeit verändert?

Brockschmidt: Trump hat der religiösen Rechten versprochen, dass er ihnen rechtskonservative Richter berufen wird, und er hat dieses Versprechen gehalten. Die unter Trump neu ernannte Richterin Amy Coney Barrett hat beispielsweise bei einer Anhörung gefragt, warum Abtreibung nicht überflüssig sei, wenn man sein Kind einfach nach der Geburt durch sogenannte Safe-Haven-Gesetze an der lokalen Polizei oder Feuerwehrstelle abgeben kann. Das ist Amy Coney Barretts Sicht auf Abtreibung.

Was sind die langfristigen Ziele dieses Milieus? Wünscht man sich eine Art Gottesstaat?

Brockschmidt: Man wünscht sich zumindest einen Staat, in dem Christen – und zwar die eigene Sorte Christen – einen Sonderstatus haben. In dem sie die wichtigsten Teile der Gesellschaft kontrollieren. Das bedeutet: Justiz, Bildung, Regierung, usw.. Paul Weyrich, einer der Architekten der modernen religiösen Rechten, schreibt ganz offen, dass das Ziel die Unterwanderung der demokratischen Institutionen ist. Dass man sie von innen quasi infiltrieren will, um sie zum eigenen Vorteil zu nutzen und abzuändern.

Du schreibst, diverse Lobbygruppen christlicher Nationalisten versuchen die Positionierung von Kandidaten zu beeinflussen.

Brockschmidt: Es gibt ein enges Netzwerk aus Think-Tanks und Organisationen, die lokal auf Bundesstaatsebene aktiv sind und sehr schnell Aktivisten mobilisieren können, die dann teilweise auch in Bussen zu den entsprechenden Orten hingefahren werden. In der Medienberichterstattung entsteht so der Eindruck: „Wahnsinn! Das ist ja eine landesweite, riesige Bewegung! Überall gibt’s hier Demonstrationen!“

Du beschreibst diese Gruppe auch als „disziplinierte Armee“, warum?

Brockschmidt: Das ist tatsächlich eine Eigenbezeichnung von Jerry Falwell. Er sagt, eine Gemeinde muss sein wie eine disziplinierte Armee, denn Christen, wie Soldaten, stellen keine Fragen. Und das ist auch die Mentalität dahinter. Eine weitere Ebene des Aktivismus ist die legislative Ebene. Es gibt diverse Gruppierungen, die Modell-Gesetzgebungen vorlegen, die dann an freundlich gesonnene Abgeordnete weitergegeben werden. Eine solche Organisation nennt sich „Project Blitz“. Es ist kein Zufall, dass derzeit in diversen US-Bundesstaaten Gesetze mit immer gleich klingenden Textbausteinen mit Anti-Trans-Inhalten verabschiedet werden. Oder dass Wahlrechtsbeschränkungen für People of Color gerade durch die Kongresse auf Bundesstaatsebene gehen. Oder dass der Geschichtsunterricht gerade massiv eingeschränkt wird. Das sind alles Versatzstücke aus solchen Modellgesetzgebungen von Organisationen, die über ein großes Geldreservoir verfügen und wahnsinnig gut vernetzt sind.

..und dann gibt es als weitere Säule der Einflussnahme noch spezielle Medien..

Brockschmidt: Die religiöse Rechte hat schon vor Jahrzehnten ihre eigenen Desinformationsräume aufgebaut und lange vor Twitter und Facebook ihre eigenen Filterblasen geschaffen. Der Lokaljournalismus war in der Krise und so wurden Sendeplätze frei, die dann aufgekauft wurden. Entscheidend war auch die Abschaffung der „Fairness Doctrine“ unter Präsident Reagan. Diese besagte, dass bei Meinungsstücken immer auch die Gegenseite Airtime bekommen soll. Jemand kann also nicht nur gegen die Demokraten wettern, sondern muss auch einen Kommentar gegen die andere Seite zulassen. Die Abschaffung dieser Regel ermöglichte erst den Aufstieg sehr rechter Radiostars wie Rush Limbaugh.

Wie kann es eigentlich sein, dass christliche Fundamentalisten dazu aufrufen, Trump zu wählen? Er ist gar nicht religiös, wohingegen Hillary Clinton durchaus Anbindung an die Kirche hat.

Brockschmidt: Hillary Clinton ist tatsächlich eine sehr aktive Methodistin. Biden geht mindestens einmal pro Woche in die Kirche und ist streng gläubiger Katholik. Trotzdem sieht ihn die religiöse Rechte als falschen Christen an, weil er eine andere politische Überzeugung hat. Trump hingegen hat seine Frau zigmal betrogen und hatte eine Affäre mit einem Pornostar. Um die Unterstützung für ihn zu erklären, muss man die Sexualmoral dieser Gruppen verstehen. Hinter der „Purity Culture“ steckt ja eine ganz bestimmte Vorstellung, was den Sexualtrieb und die Geschlechtsunterschiede angeht. In dieser Vorstellung haben Männer einen unbändigen Sexualtrieb, der sich einfach Bahn brechen muss, weil er gottgewollt ist. Deswegen ist es die Aufgabe einer guten christlichen Ehefrau, diesen Sexualtrieb zu befriedigen, und zwar immer und jederzeit – egal ob sie darauf Lust hat. Denn der Mann ist das Oberhaupt der Familie und die Frau muss sich ihm unterwerfen und das bezieht sich natürlich auch auf das Schlafzimmer. Eine der bekanntesten Vertreterinnen dieser Strömung sagte einmal, sie wüsste gar nicht, warum Frauen sagen, sie hätten da keine Lust drauf: „Ich weiß gar nicht was die haben, das dauert doch nicht lange.“

Das heißt also, wenn Hillary Clinton von ihrem Mann betrogen wird, ist es aus dieser Perspektive ihre Schuld?

Brockschmidt: Zusätzlich ist sie eine Frau, die nicht der Vorstellung der religiösen Rechten entspricht. Sie war nicht mütterlich genug, weil sie selbst politisch aktiv war, und nicht nur in der Rolle als Hausfrau, Mutter und First Lady aufging. Sie war außerdem für das Recht auf Abtreibung. Und als Feministin ist sie quasi gegen die gottgegebene Aufteilung der Geschlechter. Gleichzeitig wird in evangelikalen Ehe- und Sexratgebern tatsächlich auch ganz deutlich ein Bezug zwischen einem starken Sexualtrieb eines Mannes und der nationalen Sicherheit gezogen. Wenn du also einen hyperpotent wirkenden Typen hast, der Affären hat und im Sinne einer toxischen Männlichkeit auftritt, dann ist das gut für die Sicherheit des Landes. Als Anführer will man jemanden, der „ein richtiger Kerl“ ist. Und das sieht man übrigens auch nicht erst bei Trump, sondern das hat man auch schon gesehen bei Ronald Reagan. Der war auch geschieden und hatte Frauengeschichten. Reagan hatte, ähnlich wie Trump, früher deutlich liberalere Ansichten. Als Gouverneur von Kalifornien war er verantwortlich für eines der liberalsten Abtreibungsgesetze jener Zeit.

Wenn wir uns den Marsch der religiösen Rechten durch die Institutionen anschauen: Was, würdest du sagen, sind wichtige Stellschrauben, an denen jetzt unter Trump noch mal gedreht wurde?

Brockschmidt: Trump fungierte als eine Art Verstärker für Prozesse, die schon teilweise in Gang waren. Etwa auf Bundesstaatsebene, was die Beschränkung des Wahlrechts für People of Color angeht. Da gibt es ja leider in der amerikanischen Geschichte eine lange Tradition.

Also sprich, es wird schwieriger sich für die Wahl zu registrieren?

Brockschmidt: …oder die Stimme abzugeben. Genau. Indem man beispielsweise Wahlkabinen schließt, indem man die Öffnungszeiten verändert, indem man sagt: „Briefwahl ist nicht erlaubt!“ Indem man sagt, „Du musst dich mit einem bestimmten Dokument ausweisen“, welches aber aus strukturellen Gründen, weil es z.B. in Gegenden kein Bürgeramt gibt, nur schwer zu bekommen ist. Man sagt nicht, People of Color dürfen nicht wählen, aber es wird ihnen effektiv wahnsinnig schwer gemacht.

Und in welchen Bereichen hat sich jetzt in den letzten Jahren noch viel verändert?

Brockschmidt: Es ist unglaublich, was allein im letzten Jahr an rhetorischer Eskalation innerhalb der republikanischen Partei vor sich gegangen ist. Noch im letzten Monat hat ein republikanischer Abgeordneter ein Anime-Video gepostet, in dem er seine demokratische Kollegin Alexandria Ocasio-Cortez tötet und Präsident Biden mit zwei Schwertern angreift. Die Republikaner haben sich nicht von ihm distanziert. Wenn überhaupt einer was gesagt hat, hieß es: „Das war ein Scherz, das muss man nicht so ernst nehmen…“ Die Demokraten haben ihn aus den Komitees entfernt. Das heißt, er hat jetzt keine legislative Funktion mehr. Genau wie Marjorie Taylor Greene – das ist die mit dem „jüdischen Space Laser“.
Es hat sich eine Nische etabliert für Leute, die quasi nur noch performative Politik und medial Stunts machen. Als die Maskenpflicht kam stand Matt Gaetz, ebenfalls Abgeordneter im Repräsentantenhaus, mit einer Gasmaske am Rednerpult. Solche Sachen gehen viral und kommen bei der Basis gut an. Damit kann man auch wahnsinnig viele Spenden sammeln. Diese Leute waren vielleicht früher eine kleine Randgruppe in der Partei, die man toleriert hat –mittlerweile geben sie den Ton an. Und das sieht man daran, dass sich keiner mehr gegen sie äußert, zumindest niemand mehr, der noch irgendeine politische Zukunft in der Partei hat.

Wenn ich das richtig verstehe, würdest du also sagen: „Mit der Abwahl von Trump ist die Gefahr nicht vorbei.“

Brockschmidt: Ein weit verbreitetes Gefühl war: „Endlich ist er weg und dominiert nicht mehr unsere Schlagzeilen!“ So eine Sicht ist aber sehr auf die nicht-rechtsradikale Medien-Bubble bezogen. Klar, er hatte keinen Twitter-Account mehr, er war nicht mehr Präsident… aber er tingelte trotzdem noch durch die einschlägigen Sendungen. Und wenn er nicht mehr jeden Tag bei „Fox and Friends“ angerufen hat, dann ging er halt durch die einzelnen Talkshows der noch rechtsextremeren Sendungen. Für die Leute, die ihn gut finden, war er nie wirklich weg. Wenn man sich aktuelle Umfragen anschaut, ist Trump nach wie vor weit vor allen anderen möglichen Kandidatinnen und Kandidaten. Wenn er die Kandidatur will, und wenn ihm medizinisch nichts dazwischenkommt, dann hat er die Kandidatur auch. Und selbst wenn der unwahrscheinliche Fall eintritt, dass Trump nicht kandidieren sollte, besteht dieses Netzwerk der Unterstützung fort.

Die religiöse Rechte mag zwar nur ein eher kleinerer Teil der US-Bevölkerung sein, aber sie hat es geschafft, ihren Einfluss massiv auszubauen und mit Trump eine Bewegung und eine Wut in Gang zu bringen. Diese Kulturkampf-Rhetorik wird nur sehr schwer wieder weggehen. Ich fürchte, dass die Zeichen eher auf weitere Eskalation stehen.


Vielen Dank für das Gespräch!


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