Alice Weidel im Bundestag – Nein, Nein und nochmals Nein

Die Rede, die Alice Weidel (AfD) im Bundestag abgeliefert hat, war unter aller Sau. Die inflationäre Verwendung von Begriffen wie „Kopftuchmädchen“ und „Messermänner“ zeugt aber auch von Verzweiflung: Im Vergleich zur Wahlkampfzeit ist es erstaunlich still um die AfD geworden. Der kalkulierte Tabubruch ist ein beliebtes Mittel der AfD, um in den Medien Gehör zu finden. Wer wenig Substantielles zu bieten hat, dem bleibt eben nur das Schreien übrig.

In Folge der Eskalation haben sich einige Medien nun dazu herabgelassen, auf die wenigen inhaltlichen Aspekte der Rede einzugehen. Es geht unter anderem um die Beiträge Deutschlands für die EU oder Haftungen für die Euro-Rettung. Themen, über die man durchaus diskutieren kann. Nur eben nicht mit der AfD. Und zwar aus guten Gründen.

Kinder, Tiere, Wald: Die Masche der Rechten

Ich weiß nicht ob ihr es wusstet, aber ein Herzensanliegen der NPD ist der Kinderschutz. Kaum ein Wahlspot kommt ohne Kinderlächeln aus. Wer durch die Hochglanzprospekte blättert könnte glatt den Eindruck bekommen, hinter der mit Hakenkreuzen tätowierten Fassade steckten echte Familienmenschen. Bei der NPD nennt man sich selbst am liebten “Nationaldemokrat” (Nationalsozialist klingt einfach nicht so gut). In Mecklenburg-Vorpommern war die NPD zwei Legislaturperioden lang im Landtag vertreten. Seit 2016 sitzt statt dessen nun die AfD im Landtag.

Derzeit wird wieder heftig darüber gestritten, wie man mit Rechten im Parlament umgehen soll. Das ist durchaus erstaunlich. Denn eigentlich war ich überzeugt davon, dass diese Frage längst geklärt wäre. Im Landtag Mecklenburg-Vorpommern gab es keine große Debatte, als ein NPD-Antrag für ein Kinder-Weihnachtsgeld am 18.09.2009 durchgefallen ist. Genau genommen ist jeder Antrag der NPD durchgefallen. Das mag dem einen oder anderen herzlos erscheinen. Ich fand das genau richtig. Um zu erklären, warum ich diesen „Schweriner Weg“ für das beste Mittel beim Umgang mit Rechten im Parlament halte, muss ich etwas ausholen.

Die sind ja „sonst“ ganz vernünftig

Ich bin mal mit einer Mitfahrgelegenheit mitgefahren. Vom Ruhrpott bis nach Berlin. Total nette Leute. Ich habe mich mit dem Fahrer drei Stunden lang über Gott und die Welt unterhalten. Alles war wunderbar. Wir teilten Knabberkram und Anekdoten. Auf den letzten Kilometern zwischen Magdeburg und Berliner Stadtring kippte jedoch die Stimmung. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie wir auf das Thema gekommen sind. Aber irgendjemand fing plötzlich an, über Migranten in Berlin-Wedding zu reden. Genauer gesagt „den Osteuropäer an sich“.

Vertreter der Fraktion “Mit Rechten Reden” wären sicherlich stolz auf mein jugendliches Ich gewesen. Eine Stunde lang habe ich geradezu vorbildlich argumentiert. Was blieb mir auch anderes übrig, an der Autobahn auszusteigen war irgendwie keine Option. Doch spätestens als das Thema dann auf den Geruch des “Russen an sich” zu sprechen kam (Gurke, Knoblauch) und sogar das schwule Pärchen auf der Rückbank lebhaft nickte, war klar: Da ist nix mehr zu holen. Selten habe ich mich so gefreut, endlich angekommen zu sein. Als ich ausstieg sagte ich: “Ich weiß, das passt jetzt nicht in euer Weltbild. Aber ich bin Polin. Ein verlassener Autobahnrasthof schien mir nicht der richtige Ort zu sein, um Euch das zu sagen. Ich denke ihr versteht das. Ich hoffe ich habe nicht zu stark gerochen. Schönen Tag noch.” Und schlug krachend die Autotür hinter mir zu.

Wie gesagt, die Leute waren bis auf diese “Kleinigkeit” echt nett. Toller Musikgeschmack. Super hilfsbereit. Aber ich will mit solchen Leuten trotzdem nix zu tun haben. Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Weder im Job, noch im Freundeskreis, noch in der Politik. Es gibt Dinge, über die kann man hinweg sehen. Aber macht einen Unterschied, ob jemand einfach eine andere politische Meinung hat, oder ob er einer Gruppe bescheinigt, allein wegen ihrer Herkunft keine vollwertigen Menschen zu sein. „Untermensch“ nannte man das früher. So eine „Herrenrasse“ brauche ich nicht in meinem Leben.

Bei der AfD lieber nicht einsteigen

Wie Alexander Gauland als Fahrer ist, weiß ich nicht. Aber den Spruch, man müsse eine gebürtige deutsche Politikerin “in Anatolien entsorgen”, hätten sich selbst meine Mitfahrer nicht getraut rauszuhauen. Ganz zu schweigen von dem Weidel’schen „Messermann“ und „Kopftuchmädchen“. Das wäre zu direkt. Aber ich glaube, wenn Jörg Meuthen sich auf der Rückbank beklagt hätte, dass er in der Stuttgarter Innenstadt kaum noch Deutsche sehe (ja genau, die Staatsbürgerschaft sieht man jemandem auch an…), dann hätten die anderen Mitfahrer auf der Rückbank sicher eifrig genickt. Weil: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!!!1

Nun ist der Bundestag kein Auto. Einfach auszusteigen wäre eher unklug. Aber wie geht man jetzt mit so einer Fraktion um, die nicht aufhört, rassistischen Quatsch von der Rückbank reinzubrüllen? In den nächsten Wochen und Monaten wird es sicher die eine oder andere Debatte zu einem „total vernünftigen” Antrag der AfD geben: Der Schutz deutscher Wälder (Eichen!) oder der mehr Geld für Denkmalpflege (bevorzugt Baujahr vor 1945). Die AfD wäre ganz schön dämlich, wenn sie nicht in den nächsten Monaten viele herzzerreißende Anträge für die Rechte der Kinder einreichen würde. Macht die NPD ja nicht anders. Was machen wir damit?

Vom Schweriner Weg lernen

Zum Glück hatten wir schon einmal einen ähnlichen Fall. Nachdem der NPD-Abgeordnete Tino Müller im Jahr 2009 sein Plädoyer für den Antrag “Weihnachtsgeld für deutsche Kinder” im Landtag Mecklenburg-Vorpommern mit sichtlicher Anstrengung von einem Blatt abgelesen hatte, gab es eine einzige Gegenrede. Stellvertretend für die anderen Fraktionen stellte sich der CDU-Abgeordnete Günter Rühs ans Mikro. Statt große Worte zu verlieren las er einen alten Artikel aus der Berliner Morgenpost vor. Er handelte vom Weihnachtsfest 1945. Vom ersten Weihnachten in Frieden.

“Es war das erste Weihnachten nach dem Ende dieses fürchterlichen Krieges, der ganz Europa in Schutt und Asche gelegt hat und unerträgliches Leid über Millionen von Menschen brachte. Es war nach langer Zeit wieder das erste Fest des Friedens. Wir Demokraten werden alles dafür tun, dass diejenigen, die dieses viele Leid und die unermesslichen Zerstörungen zu verantworten haben, nicht erneut die Gelegenheit erhalten, ein ganzes Volk zu verführen und hinters Licht zu führen.”

An dieser Stelle begann ein NPD-Abgeordneter mit lauten Klopfen zu stören. Erst leise, dann unüberhörbar. Günter Rühs musste seine Rede unterbrechen. Auf den Ordnungsruf der Landtagspräsidentin an die “Herren von der Fensterfront” reagiert ein NPDler mit Empörung: “Das ist eine Unverschämtheit. Ich protestiere!”. Die NPD hat diesen Moment auf ihrem Youtube-Kanal verewigt, weil sie offensichtlich nicht begreifen, wie dumm sie das dastehen lässt. Die AfD ist da anders. Alice Weidel hat die Rüge des Bundestagspräsidenten und unbequeme Erwiderungen auf ihre Rede einfach weggeschnitten, bevor sie das Video auf Social Media verbreitete. Bei der AfD versteht man sich darauf, seine Filterblase nur mit genehmen selektiven Botschaften aus dem Parlament zu füllen. Das macht sie umso gefährlicher, denn im Kern sind sie genauso braun.

Wie sagt man so schön: Getroffene Hunde bellen. Das denke ich auch oft, wenn die AfD darüber jammert, als Rassisten und Nazis bezeichnet zu werden. “Nationaldemokraten” klingt einfach netter, das wusste schließlich schon die NPD. Aber wer Menschen aufgrund ihrer Herkunft zu Bürgern zweiter Klasse degradiert, der will mehr als nur die Migrationspolitik kritisieren. Wer einen Kandidaten als Bundestagsvize aufstellt, der Muslimen das Recht auf Religionsfreiheit abspricht, der will natürlich mehr als nur über Integration debattieren. Und dieses “Mehr” ist eben nicht nur eine Fußnote der Geschichte. Es ist die Geschichte selbst, die zu uns spricht.

Haltung heißt auch, nicht mit allen reden zu müssen

In der Politik geht es nicht zuletzt um Haltung. Natürlich können wir als Gesellschaft beschließen, dass wir plötzlich die Würde des Menschen wieder verhandelbar machen. Denn genau das machen wir implizit, wenn wir so tun, als wäre eine Partei mit Rassisten in ihren Reihen, eine normale Partei. Und ja, es nicht nicht übertrieben das genau so zu sagen. Wie soll man sonst eine Gruppe nennen, die in ihren Reihen einen Abgeordneten duldet, der meint, der rechtsextreme Massenmörder Breivik habe quasi aus Notwehr gehandelt, als er auf der norwegischen Insel Utøya 69 Teilnehmer eines sozialdemokratischen Jugendcamps niedermetzelte. Wie soll ich Bundestagsabgeordnete anders nennen, die sich in Facebook-Gruppen herumtreiben, in der das Bild einer Pizzaschachtel mit dem Gesicht von Anne Frank getauscht wird mit der Aufschrift „Die Ofenfrische, locker und knusprig zugleich“? Wozu neue Namen erfinden, wenn es doch immer wieder die alte Leier ist.

Ich dachte eigentlich wir sind über das “Rassismus ist eine Meinung” hinweg. Ich dachte wir sind weiter. Dass Menschen, die meine Freunde diskriminieren, nicht so behandelt werden, wie jemand, der “sonst gar nicht so ist” wäre für mich ein Gebot des Anstands. Sicher gibt es Rassisten, die super Postkarten malen. Und nett zu Hunden sind. Oder tolle Autobahnprojekte umsetzen. Na und? Man kann über viele Dinge hinweg sehen. Wer aber über die Würde des Menschen hinweg sieht, verliert das Fundament aus dem Blick, welches eine Demokratie erst möglich macht.

Das braune Gesamtpaket

Die freie Wahl ist ein hohes Gut. Die AfD und ihre Funktionäre müssen damit leben, dass sie als Gesamtpaket behandelt werden. Zu diesem Gesamtpaket gehört, dass ihr Lippenbekenntniss zu demokratischen Werten genauso glaubwürdig ist, wie der Einsatz der NPD für Kinderrechte. Es ist wie es ist: Jede Stimme für einen AfD-Antrag ist eine Stimme für die Normalisierung von etwas, das nie aufhören darf ungeheuerlich zu sein. Nein, danke. Nie wieder. Deshalb: Nein, Nein und nochmals Nein zu allen Anträgen der AfD-Fraktion.


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4 Kommentare

  1. Beim Durchstöbern der Grundrechte – auf der Suche warum ich es liebe in diesem Land, in dieser Demokratie zu leben – bin ich auf Deinen Blog gestoßen.
    Mich nerven Sätze wie „Das – die AfD – muß eine Demokratie aushalten“. Nein muß sie nicht. Muß ich nicht. Meine Würde ist nicht verhandelbar.

  2. Der Beitrag über Alice Weidel im Bundestag bezieht sehr klar und eindeutig Position gegen die AfD. Das finde ich sehr gut. Alle Fraktionen sollten sich dauerhaft daran halten. Ich habe heute abend in der c-base in Berlin am netzpolitischen Abend teilgenommen – sehr guter Vortrag!!! Jens

  3. Vielen Dank fuer den Beitrag. Spricht mir wie man so sagt aus der Seele. Habe deinen sehr eindrucksvollen Vortrag auf der re:publica letztes Jahr gesehen, an den ich mich das ein oder andere Mal erinnere, auch in Diskussionen zum Thema Angst fuer Deutschland..

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