Die Notwendigkeit der Darstellung und Vermittlung von Politik ist wohl so alt wie die Politik selbst. Die Medien haben innerhalb der politischen Landschaft eine Funktion als vierte, die anderen Gewalten kontrollierende Instanz inne.
Sie vermitteln Informationen, unterstützen die politische Meinungsbildung, üben Kritik an der Politik und überwachen so die politischen Entscheidungen der Akteure. Sie tragen nicht zuletzt einen wesentlichen Beitrag zur politischen Bildung bei. Moderne Medien erhöhen somit auch die Transparenz politischer Prozesse, die für eine Demokratie notwendig sind. Ohne kritische Medien: keine Demokratie.
Der Fokus auf Köpfe in der Politik, mediengerechte Events und immer schnellere Reaktionszeiten verändern aber auch die Art wie wir Politik und Politiker erleben.
Politik in der Popcornkultur
Modernisierung der Politikvermittlung bedeutet – Politik wird medial vermarktet, wie andere Produkte auch. Schließlich stehen meist die selben Agenturen dahinter, die auch Autos, Möbel und Kleidung mit Emotionen vermarkten.
„Im Gegensatz zur traditionellen Parteienlogik bedient sich die neue Medienlogik der Techniken des politischen Marketing. Sie denkt in strategischen Zielgruppen, begreift Wähler als Konsumenten und bemühen sich, ein symbolisches Produkt anzubieten, das in empirischer Kenntnis der Stimmungslagen und diffuser Emotionen einer launenhaften und unberechenbaren Wählerschaft konstruiert und mediengerecht vermarktet wird.“ [1]
Im deutschen Raum war die so genannte „Leipziger Krönungsmesse“ der SPD am 17.04.1998 ein Meilenstein in der Entwicklung gezielt inszenierter politischer Events. Der Parteitag der SPD bediente sich theatralischer Musik und opulenter Innenausstattung. Primäres Ziel war dabei die Wirkung auf die Zuschauer. Professionelle Unterstützung erhielt die SPD durch die Gründung der Wahlkampfzentrale Kampa, die den Wahlkampf zentral und professionell lenkte. Der Wahlkampf konzentrierte sich stark auf die Person Schröders. Diese Entwicklung hat auch das Innenverhältnis Politiker-Partei verändert. Schröder nutzte Medien auch zur Disziplinierung der eigenen Partei. Es galt, Geschlossenheit zu zeigen.
Vom Schreibtisch-Täter zum hyperreale Medienhelden
Personalisierung in der Politik ist zwar kein neues Phänomen und bereits Genscher gab bereitwillig private Informationen für die Verwertung durch die Massenmedien preis. Jedoch hat die Tiefe und die Masse der persönlichen Inhalte über Politiker in den Medien zugenommen. Mediencharisma wird zunehmend als essenzielle Eigenschaft eines erfolgreichen Politikers betrachtet. Medienpräsenz kann wie bei Schröder mit Machtzuwachs verbunden sein, sie hat aber auch Nebenwirkungen für die Psyche.
Die Entscheidung eines Politikers, die Medien für seine Zwecke zu nutzen ist immer auch mit einem Kontrollverlust verbunden. „In der Politik gibst du die Souveränität über dich auf,“ so Gregor Gysi über den Politiker als Person des öffentlichen Interesses. „Du verfügst nicht mehr über dich: nicht über dein öffentliches Bild, nicht über dein Image, nicht über deine Zeit.“
Schnelle Entscheidungen und Handlungsunfähigkeit
Hinzu kommt: Politiker stehen durch die neuen technischen Möglichkeiten verstärkt unter Druck, Reaktionen möglichst zeitnah an Geschehnisse medial zu präsentieren und Kritik entgegentreten zu müssen. „Dann musst du handeln, oder besser: du musst so tun als ob du das Problem lösen könntest. Meistens kannst du ja gar nix machen. Entscheidend ist also, welche Entscheidung du von dir in die Welt setzt, dass du also Handlungen vortäuschst. Denn das fragen doch immer gleich alle: hat er gehandelt ?“, so äußerte sich ein Minister gegenüber einem Journalisten zu diesem seinen Dilemma.
Dies kann sich jedoch schwierig gestalten, wenn das Problem komplex ist und Standpunkt erst gefunden oder abgestimmt werden müssen. Nicht- Reagieren wird nicht selten als Inkompetenz gewertet.
Parteiinterne Grundsatzdebatten, die notwendig sind für die dauerhafte Stabilität einer politischen Partei, können öffentlich als Zeichen der Schwäche und Instabilität ausgelegt werden. Diskussion und Meinungsverschiedenheiten sind jedoch überlebenswichtig für eine lebendige demokratische Meinungsbildung. Demokratie funktioniert nicht ohne Debatte. Doch wenn alle Parteien den Mantel des Schweigens über solche Diskussionen legen, fallen innerparteiliche Debatten plötzlich negativ auf. Und der parteiinterne Streit ist dadurch keineswegs weg. Streit kanalisiert sich dann eben nur abseits der Öffentlichkeit in politischen Ränkespielen. Eben solchen Mechanismen, die von der Öffentlichkeit gewöhnlich als „schmutziger Teil“ der Politik angesehen werden.
Mehr-Ebenen-Politik und Patchwork-Identitäten
Es entsteht eine Diskrepanz zwischen realer Politik hinter verschlossenen Türen und fernsehvermittelten Politikbildern. Eine Darstellung des monotonen Alltags findet meist nicht statt. Interne Debatten sind nicht öffentlich. Und so nimmt der Zuschauer Politik nicht selten als Ablauf schneller Entscheidungen wahr, ohne die eigentliche Hintergrund-Arbeit zu sehen zu bekommen. Die Langsamkeit der Politik mag zwar langweilen, aber leider ist ein gewisser Grad an Schwerfälligkeit und Monotonie eher realitätsnah, als das Fällen schneller Entscheidungen.
Der Sozialpsychologe Heiner Keupp charakterisiert den Politiker als fraktionierten Menschen mit Patchwork-Identitäten. Die öffentliche Person wird durch abgekoppeltes Verhalten zu einer Partition der eigenen Identität – einer Maske. Durch Medienöffentlichkeit kann sich eine Eigendynamik innerhalb der Persönlichkeit entwickeln, die der Wahrnehmung der Aufgaben als demokratisch gewählter Interessenvertreter entgegen stehen können – und zwar dann, wenn Politiker „abhängig“ werden und vergessen wer sie eigentlich einmal gewesen sind bevor über sie berichtet wurde.
Gefährlich wird es, wenn öffentliche Aufmerksamkeit von Politikern zum Selbstzweck erhoben wird und unabhängig von der politischen Überzeugung Politik betrieben wird, um den Absturz in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern. Das bedeutet, dass der Unterschied zwischen dem Bild in der Öffentlichkeit und der eigenen Identität verschwimmt. Das passiert schneller, wenn das Privatleben der Politik zum Opfer fällt und kaum Kontakt zu Wählern und „normalen Menschen“ besteht.
Politik ist Produkt… politischer Prozesse
Wir dürfen niemals vergessen: Neue Medien haben Auswirkungen darauf, wie wir Politik erleben und gestalten. Auch wenn es spannend ist etwas über die Köpfe hinter den Inhalten zu erfahren, sollten wir doch die Inhalte nie aus dem Blick verlieren. Wahlkampagnen, die den Wähler nur als Konsumenten betrachten denken zu kurz. Denn die Wähler merken, wenn sie langfristig Mogelpackungen wählen und Wahlversprechen nicht eingehalten werden – Genau hier setzt die Kampagne der Piraten Niedersachsen an. Politik ist kein Produkt, denn Ideale sollten nicht käuflich sein. Und Politainment und plakative Aussagen ersetzen niemals eine inhaltliche Auseinandersetzung. Der Teufel steckt manchmal im Detail. Wenn alle laut Plakat für „Soziale Gerechtigkeit“ sind, dann verkommen Wahlslogans zu hohlen Phrasen. Inhalte und politisches Handeln sind die Messlatte, an der Politik gemessen werden sollte – und nicht hübsch inszenierte Events und Werbespots.
Eine lebendige Demokratie braucht eine authentische Darstellung von Politik, die sich nicht scheut, auch den weniger spektakulären Alltag zu zeigen. Und interne Debatten aller Parteien und manchmal auch Streit um die richtige Sache, als Teil der Demokratie zu zeigen. Öffentliche Sitzungen und transparente parteiinterne Strukturen können hier helfen. Flache Hierarchien wirken einem „abheben“ von Einzelpersonen entgegen. Wenn Mitglieder oder Wähler direkt ihrem Abgeordneten die Meinung geigen können, ist bereits viel erreicht.
Die Förderung von Medienkompetenzen ist unverzichtbar, wenn Politik zu weitgehend über Medien kommuniziert wird. Ebenso ist eine kritische Medienlandschaft notwendig, die hinter Inszenierte Politikfassaden blickt. Politainment hat seinen Platz in der Medienlandschaft, denn es ist eine niedrigschwellige Auseinandersetzung mit Politik, die allen offen steht. Das kann aber niemals die Auseinandersetzung mit Inhalten ersetzen. Denn auf die Inhalte kommt es an – alles andere ist Werbung.
[1] Plasser, Fritz: Medienlogik. Themenmanagement und Politikvermittlung im Wahlkampf. In: Plasser, Fritz (Hg.): Wahlkampf und Wahlentscheidungen. Analyse zur Nationalratswahl 1995. Wien 1996
Lesenswert:
- Dörner, Andreas: Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2001.
- Dörner, Andreas; Vogt, Ludgera: Wahl-Kämpfe. Betrachtungen über ein demokratisches Ritual. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2002.
- Leinemann, Jürgen: Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politik. Karl Blessing Verlag. München 2004.
- Langenbucher, Wolfgang (Hg.): Politik und Kommunikation. Über die öffentliche Meinungsbildung. Piper& Co. Verlag. München 1979.
- Plasser, Fritz (Hg.): Wahlkampf und Wahlentscheidungen. Analyse zur Nationalratswahl 1995. Signum Verlag. Wien 1996.
- Sarcinelli, Ulrich: Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Politikvermittlung im demokratischen System. Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2005.
- Sarcinelli, Ulrich (Hg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Westdeutscher Verlag. Wiesbaden 1998.
Ich freue mich auf den Wahlkampf. Oder auch nicht. Es ist nicht so wie ihr denk. Oder etwa doch? In den letzten Monaten habe ich oft mit Freunden über Politik gesprochen. Meine Freunde sind kritische Menschen mit gesundem Misstrauen gegenüber dem homo politicus. Und sie haben gesagt ich solle bloß ich selbst bleiben und nicht einer „von denen“ werden. Ein Themenschwerpunkt im Studium waren bei mir die Themen Postdemokratie und Politainment.
2. Mediale Politikvermittlung
Die Notwendigkeit der Darstellung und Vermittlung der Politik ist wohl so alt wie sie selbst. Mit dem Wandel zu einer Massendemokratie werden zunehmend Massenmedien für die Vermittlung politischer Inhalte genutzt. Die Art der Darstellung kann erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung haben. Daher prägt auch die Art der Darstellung von Politik maßgeblich die öffentliche Auffassung von Politik. Die Medien haben innerhalb der politischen Landschaft eine Funktion als vierte, die anderen Gewalten kontrollierende Instanz inne. Sie vermitteln Informationen, unterstützen die politische Meinungsbildung, üben Kritik an der Politik und überwachen so die politischen Entscheidungen der Akteure. Sie tragen nicht zuletzt einen wesentlichen Beitrag zur politischen Bildung und Sozialisation der Bevölkerung bei1. Moderne Medien erhöhen somit auch die Transparenz politischer Prozesse, die für eine Demokratie notwendig sind2.
Die individuelle Erziehung und Bildung ist dabei ein maßgeblicher Faktor, wie Medien verstanden und wahrgenommen werden. Eine auf Informationsvermittlung politischer Inhalte durch die Massenmedien angewiesene Demokratie bedarf der Medienkompetenz ihrer Bürger3.
Der Umzug der deutschen Regierung aus der Kleinstadt Bonn in die Hauptstadt Berlin scheint die politischen Prozesse noch weiter beschleunigt zu haben4. Dies hat die Tendenzen einer zunehmenden Konvergenz deutscher Politikvermittlung an Methoden der amerikanischen politischen Kommunikation über Massenmedien in den Augen vieler zusätzlich noch verstärkt. Die oft als Amerikanisierung bezeichnete Modernisierung der Politikvermittlung bedeutet somit zunehmende Mediatisierung, Personalisierung und Entideologisierung5.
„Im Gegensatz zur traditionellen Parteienlogik bedient sich die neue Medienlogik der Techniken des politischen Marketing. Sie denkt in strategischen Zielgruppen, begreift Wähler als Konsumenten und bemühen sich, ein symbolisches Produkt anzubieten, das in empirischer Kenntnis der Stimmungslagen und diffuser Emotionen einer launenhaften und unberechenbaren Wählerschaft konstruiert und mediengerecht vermarktet wird.6“. Professionalisierung und Entideologisierung gehen meist Hand in Hand.
Personalisierung in der Politik ist zwar kein neues Phänomen und bereits Genscher gab bereitwillig private Informationen für die Verwertung durch die Massenmedien preis7. Jedoch hat die Tiefe und die Masse der persönlichen Inhalte über Politiker in den Medien zugenommen und dies wird zunehmend als wichtiger Faktor innerhalb der Kommunikation mit der Öffentlichkeit angesehen. Kandidaten des Präsidentschaftswahlkampfes in den Vereinigten Staaten von Amerika werden nicht selten als „common hero“ inszeniert8.
Politische Events gewinnen zunehmend an Bedeutung, da sich Politik als konkretes Ereignis deutlich besser vermitteln und medial verbreiten lässt. Im deutschen Raum wird die so genannte „Leipziger Krönungsmesse“ der SPD am 17.04.1998 als maßgeblich in der Entwicklung gezielt inszenierter politischer Events beurteilt. Der Parteitag der SPD wurde sowohl durch ein visuell ansprechendes Gesamtkonzept, als auch durch die Untermalung durch emotionale Musik als ganzheitliches, emotional geprägtes Event gestaltet. Primäres Ziel war dabei eindeutig die Wirkung auf die Zuschauer. .„Wirklich neu ist dagegen, wie Schröder im Wahlkampf die Medien und die Medienöffentlichkeit zur Disziplinierung der Partei und die Medientechnologie zur Ausschaltung bzw. Übernahme der Informationsmacht und Inszenierungsdominanz der institutionalisierten Medienvertreter einsetzt .“9
Professionelle Unterstützung erhielt die SPD dabei durch die Gründung der Wahlkampfzentrale Kampa, die den Wahlkampf zentral und professionell lenkte10.
5.1 Funktionen des Politainment
Politainment kann durch eine Vielzahl von Eigenschaften charakterisiert werden. Dörner nennt als die wichtigsten die Reichweite durch Reduktion, die Kontrolle durch Öffentlichkeit, die Emotionalität, die Bereitstellung von Identifikationsräumen und Modellidentitäten, das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten und die Vermittlung von Grundwerten. Die gestiegene Relevanz von Formaten des Politainment im Zuge einer Modernisierung der Politikvermittlung birgt neben Risiken durchaus auch Möglichkeiten für einen produktiven öffentlichen Diskurs in sich.
6. Politiker und ihr Image
Die Entscheidung eines Politikers die Medien für seine Zwecke zu nutzen ist immer auch mit einem Kontrollverlust verbunden, da zwar zunehmende Reichweite aber auch zunehmende Fremdbestimmung ihrer Handlungen damit einhergehen können11.
Jedoch ist nicht jeder Politiker in gleichem Maße dazu in der Lage sich selbst als sympathischen und zugleich auch kompetenten Menschen darzustellen. Mediencharisma wird zunehmend als essenzielle Eigenschaft eines erfolgreichen Politikers betrachtet12. „In der Politik gibst du die Souveränität über dich auf,“ so Gregor Gysi über den Politiker als Person des öffentlichen Interesses. „Du verfügst nicht mehr über dich: nicht über dein öffentliches Bild, nicht über dein Image, nicht über deine Zeit.“13
Politiker können sich oft nicht sicher sein, welcher Teil ihrer privaten Aktivitäten in der Öffentlichkeit genutzt werden könnte. So sind Schlagzeilen über Affären oder uneheliche Kinder den meisten Karrieren nicht gerade förderlich. Die Sphären zwischen beruflichem und privatem verschwimmen. Wer in der Öffentlichkeit als guter Politiker wahrgenommen werden will, muss auch privat eine gute Figur machen, da durch eine zunehmende Personalisierung das eine vom anderen zunehmend abhängig wird. Die potentielle Dauerbeobachtung alles politischen durch die Medien14 aber auch alles unpolitischen durch Politiker getätigte bleibt nicht ohne Einfluss auf das Verhalten und die Wahrnehmung der Politiker, die sich im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung sehen.
Während der Zuschauer durch die meist unidirektional stattfindende Kommunikation einen Zugang zu aktuellen und vielfältigen Fakten erhält, wobei er zugleich Zeit hat eigenständig das Aufgenommene zu reflektieren und zu bewerten15, stehen Politiker durch die neuen technischen Möglichkeiten verstärkt unter Druck, Reaktionen möglichst zeitnah an Geschehnisse medial zu präsentieren und Kritik entgegentreten zu müssen16. „Dann musst du handeln, oder besser: du musst so tun als ob du das Problem lösen könntest. Meistens kannst du ja gar nix machen. Entscheidend ist also, welche Entscheidung du von dir in die Welt setzt, dass du also Handlungen vortäuschst. Denn das fragen doch immer gleich alle: hat er gehandelt ?“ so äußerte sich ein Minister gegenüber einem Journalisten zu seinem Dilemma17. Dies kann sich jedoch schwierig gestalten, wenn das Problem sehr komplex ist und es ratsam erscheint einen öffentlichen Standpunkt erst intern mit Parteimitgliedern oder Sachverständigen zu eruieren. Solch ein Verhalten kann durch die Öffentlichkeit durchaus als statisches nicht- reagieren und somit als Inkompetenz gewertet werden. Selbst parteiinterne Grundsatzdebatten, die durchaus notwendig für die innere Stabilität einer politischen Partei sind, können öffentlich als Zeichen der Schwäche und Instabilität ausgelegt werden. Diskussion und Meinungsverschiedenheiten sind jedoch überlebenswichtig für das Fundament einer demokratischen Meinungsbildung, denn die Qualität der Ergebnisse einer Diskussion ist mitunter von der Anzahl und den inhaltlichen Unterschieden der sich entgehen stehenden Meinungen abhängig.
So sehen sich Politiker selbst oft in dem Dilemma widersprechenden Anforderungen gerecht werden zu müssen. Wie der jeweilige Schwerpunkt gesetzt wird hängt dabei ganz von der persönlichen Einschätzung ab. Kurzfristig mag ein schnelles Reagieren zwar Vorteile in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit mit sich bringen. Langfristig ist jedoch ein strukturiertes und glaubwürdiges Vorgehen gefragt, welches sich auf möglichst vollständige Informationen stützt und zu einer langfristig im Ergebnis erfolgreichen politischen Entscheidung führt.
Somit lässt sich feststellen, dass es zwei Ebenen der Politik gibt, wobei die erste auf das Massenpublikum ausgerichtet ist und mithilfe verschiedener Kommunikationsformen auf eine Beeinflussung dieser zielt. Die zweite Ebene ist nicht öffentlich und ist nicht durch Darstellungspolitik sondern durch Entscheidungspolitik gekennzeichnet, welche den alltäglichen Entscheidungsfluss der politischen Akteure darstellt18. Diese beiden Ebenen stehen in konstruktiver als auch destruktiver Beziehung zu einander19. Es entsteht jedoch allgemein eine eindeutige Divergenz zwischen realer Politik hinter verschlossenen Türen und fernsehvermittelten Politikbildern20. Eine Darstellung des monotonen Alltags in der politischen Arbeit findet meist nicht statt und so nimmt der Zuschauer Politik als Ablauf schneller Entscheidungen wahr, ohne die dafür im Hintergrund notwendige Arbeit zu realisieren21. Die Langsamkeit der Politik mag zwar in der Wahrnehmung der Zuschauer als störend wahrgenommen werden und fehlt daher oft in ihrer Darstellung, aber leider ist ein gewisser Grad an Schwerfälligkeit und Monotonie eher realitätsnah, als es das Fällen schneller Entscheidungen ist22.
6.2 Psychologische Wirkung des Öffentlichkeitsbildes
der Sozialpsychologe Heiner Keupp charakterisiert den Politiker als fraktionierten Menschen mit Patchwork-Identitäten23. Durch die Öffentlichkeit ihrer Person scheinen einige die Kontrolle über ihre Identität teilweise zu verlieren. Havel sagt über die öffentliche Position des Politikers: „ Der Mensch, der sich niemals durch die Augen einer Fernsehkamera beobachten musste, aber plötzlich jede seiner Bewegungen ihrem Blick unterwirft, ist nicht mehr der gleiche , der er war. Er wird zu einer Geisel seiner Position, seiner Privilegien, seines Amtes.“24.
Dieser Ausspruch zeigt deutlich die Gefahren, die die zunehmende Personalisierung des Politischen mit sich bringt.
Die Darstellung seiner Rolle als Politiker in der Öffentlichkeit mittels der Massenmedien wird jedoch zunehmend zur gewohnten Kommunikationsform von Politikern. Gefährlich kann die zur Gewohnheit gewordene mediale Aufmerksamkeit werden, wenn sie von Politikern zum Selbstzweck erhoben wird und unabhängig von der politischen Überzeugung Politik für das Populäre betrieben wird, um den persönlichen Absturz in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern. Aufmerksamkeit seitens der Politiker25 wird oft nicht einmal abgestritten. Es wird als Teil der Rolle wahrgenommen, den hyperrealen Medienhelden zu spielen und gibt durchaus auch private Befriedigung. Gefährlich wird diese Rolle für den Einzelnen erst, wenn er die Gabe zum reflexiven Hinterfragen der eigenen Handlungen verliert und der Unterschied zwischen dem Bild in der Öffentlichkeit und der eigenen Identität verschwimmt und sich so eine abgehobenen Klasse von Politikern26 herausbildet, die außerhalb dieses medial konstruierten und medial vermittelten Bildes keinen Kontakt zu ihren Wählern unterhält. Wolfgang Thierse mahnt daher Politiker dazu, den persönlichen Kontakt mit ihren Wahlkreisen zu halten27, um so den Blick für die Realität ihrer Wähler und ihre Probleme wahren zu können, da dies unabdingbar sei für eine angemessene Interessenvertretung seiner Wähler.
In jedem Falle kann sich durch Medienöffentlichkeit eine Eigendynamik innerhalb der Persönlichkeit entwickeln, die der Wahrnehmung der Aufgaben als demokratische gewählter Interessenvertreter entgegen stehen können.
Letztendlich liegt es vor allem an dem Selbstbild der Medien und der Politiker, wie sie auf diesen Strukturwandel reagieren. Die Förderung von Medienkompetenzen der Bevölkerung ist ein möglicher Weg die Demokratie auch unter diesen veränderten Bedingungen stabilisieren zu können. Es bleibt abzuwarten, wie die Akteure weiterhin auf den gesellschaftlichen und medialen Wandel reagieren.
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Jens Best
Guter Text.
Für mich stellt sich dann die Frage, wie zwischen (ggf. sogar partizipativem)Verfolgen der ausführlichen politischen Arbeit der Gewählten und der Reduktion auf „hohle Phrasen“ eine Balance für diejenige Bürgerin gefunden werden kann, die sich in ihrem täglichen Zeitbudget keinen großen Spielraum hat.
Welche Möglichkeiten bieten hier die Medien? Wie müssen in der politischen Bildung diese Fähigkeiten der Selektion und Erfassung vermittelt werden?
Vorallem aber stellt sich für mich die Frage, wann sich die Frage nach der Werteorientierung endlich ernsthaft stellt. Politik basiert auf Wertentscheidungen, um also sowohl den Entwicklungen folgen zu als auch eigene konsistente Vorschläge einbringen zu können, brauche ich nicht nur ein Prozesswissen, sondern auch ein Werteschema, nach dem ich entscheide.
Die Popcornkultur der hohlen Phrasen hat uns ausgetrieben über die Werte hinter Entscheidungen nachzudenken. Es wird irgendeine empirische Feststellungsmassnahme eingeleitet, die dann irgendwelche quantitativen Meinungsbilder darstellt, es wird aber überhaupt nicht nach dem normativen Rahmen gefragt. Dies ist imho die viel wesentlichere Aushöhlung unseres politischen Handelns.
Antworten, wie man hier (medien2.0-ergänzt) eine neue Balance finden kann, würden mich mehr interessieren, als noch eine Partei, die so tut, als würde sie jetzt den Leuten zuhören.