Meinungsfreiheit von Facebooks Gnaden? Danke SPD!

Bis zu fünf Millionen Euro für Personen und bis zu 50 Millionen Euro für die Betreiber-Plattform – so teuer soll es nach dem neuen Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes werden, wenn beanstandete Inhalte wie z.B. Drohungen nicht rechtzeitig gelöscht werden. Keine Frage: Mit einem solchen „Ordnungsgeld“ verschafft man sich Respekt. Doch mit Gesetzen ist es wie mit Medikamenten: Wenn die Nebenwirkungen schlimmer sind als das zu behandelnde Übel, kann man sich die bittere Pille auch sparen. Statt die Meinungsfreiheit zu schützen, erklärt dieses Gesetz die Meinungsfreiheit in Sozialen Netzwerken tatsächlich zur Farce.

Finanzielle Anreize

Beginnen wir die Debatte mit einem Beispiel, das ungewohnt erscheinen mag: AfD-Fans riefen in der Vergangenheit mehrfach dazu auf, die Facebookseite „AfD-Watch“ wegen „Hassbotschaften“ zu melden. Das führte nicht nur dazu, dass einzelne Posts entfernt wurden. Die ganze Seite war zwischenzeitlich gelöscht worden. Neonazis ziehen diese Nummer mit vielen Seiten ab. Solche Aktionen sind meist koordiniert. Gerade vor wichtigen Wahlen wollen sie sich die Chance nicht entgehen lassen, kritische Medien in sozialen Netzwerken Mundtod zu machen. Das klappt öfter als man denkt. Die Löschanträge und Sperranträge werden nur selten und wenn dann nur unzureichend geprüft. Für die großen Netzwerke hat Facebook nach einiger schlechter Presse nun eine besondere Betreuung zugesichert. Doch viele kleine Netzwerke und Privatpersonen werden so regelmäßig abgeschossen. Warum das klappt? Weil Facebook bei seinen Mitarbeitern spart. Die haben schlichtweg keine Ahnung, was hierzulande von der Meinungsfreiheit gedeckt ist und was nicht. Im Zweifel verursachen die „Gemeinschaftsstandards“, dass Posts der „Heute-Show“ oder „Extra 3“ als Löschgrund herhalten.


Der neue Gesetzentwurf wird dieses Problem nicht beheben, sondern verschärfen. Für den Betreiber eines Sozialen Netzwerkes, dessen oberste Priorität die Maximierung des Gewinns ist, werden die Anreize zu „präventiver“ Löschung verstärkt und nicht gemindert. Wenn nun das Damoklesschwert von mehreren Millionen Euro über der Entscheidung zu jedem Post hängt, werden Mitarbeiter lieber Vorsicht als Nachsicht walten lassen – und noch rigoroser löschen. Detaillierte Prüfungen von Löschanträgen sind schließlich teuer. Ungerechtfertigte Löschungen sollen laut Gesetz hingegen keine negativen Folgen haben. So ein „Hate-Speech-Gesetz“ schadet tatsächlich mehr, als es hilft. Das „Mundtotmachen“ von Aktivisten durch rechte Gruppen wird noch einfacher werden.

Chilling Effects

Gesetze sind dazu da, klare Verhältnisse zu schaffen. Wer z.B. Höcke als rechtsextrem bezeichnen möchte, kann vorab den Anwalt seines Vertrauens befragen. So lange einen anschließend niemand vor Gericht zerrt und recht bekommt, kann die Äußerung stehen bleiben. Der AfD-Kritiker Andreas Kemper schrieb vor langer Zeit darüber, dass Höcke in mehreren Texten unter dem Decknamen „Landolf Ladig“ die NPD über den grünen Klee gelobt habe. Dass die sonst klagefreudige AfD Kemper nie mit einer Unterlassungserklärung behelligte, werteten viele als Eingeständnis. Im Parteiausschlussantrag gegen Höcke wird nun mit Gewissheit angenommen, dass Kemper Recht hat. Doch wie wäre es gewesen, wenn Kemper nicht in einem privaten Blog sondern auf Facebook seine Recherchen veröffentlicht hätte?

Um es mal ganz klar zu sagen: Gewinngetriebene Anbieter, die nach Bauchgefühl statt Gerichtsurteil löschen, hätten den Post höchstwahrscheinlich schnell entfernt. Gerade, weil die AfD als klagefreudig gilt. Wer will schon hohe Strafen riskieren, wenn das Löschen keine negativen Konsequenzen für die Betreiber hat? Hinzu kommt das Problem der Vorab-Prüfung. Facebook hat in Deutschland bisher nur einen kleinen Kreis von Beschäftigten zu minimalen Lohnkonditionen dafür abgestellt, Beschwerden zu prüfen. Eine Anzugträger-Armee von spezialisierten Anwälten ist für die Zukunft nicht zu erwarten – die wären nämlich teuer. Realistischer sind Mindestlohn-Kräfte ohne juristische Vorkenntnisse, die nach Bauchgefühl und schwammigen Kriterien (im Zweifel lieber Löschen!) arbeiten. Sieht so die „Entmachtung Facebooks“ aus, liebes Justizministerium? Betreiber Sozialer Netzwerke würden durch das neue Gesetz tatsächlich zum Privatsheriff ernannt werden.

Da mit dem Gesetz ein Anreiz geschaffen wird, eher zu viel als zu wenig zu löschen, werden Nutzer anfangen ihre Sprache sehr sorgfältig zu wählen. „Chilling Effects“ wie Selbstzensur sind die Folge. Wie kritisch man dann noch auf Facebook über die AfD berichten kann? Das ist eine gute Frage. Wie gesagt: Gesetze sind eigentlich dazu da, um klare Verhältnisse zu schaffen. Doch dieses Gesetz nimmt die Frage „Muss dieser Post gelöscht werden?“ aus der Hoheit der Gerichte heraus und überträgt diese Entscheidung den Betreibern. Wie der „Privatsheriff“ namens Facebook im Einzelfall entscheidet – who knows? Fakt ist: Wenn sie nicht rechtzeitig löschen können Gerichte nachträglich horrende Geldstrafen verhängen. Wer zu viel löscht wird nach dem neuen Gesetz belohnt, denn der hat das geringere finanzielle Risiko.

Meinungsfreiheit von Facebooks Gnaden

Wer Betreiber Sozialer Netzwerke zu Richtern erhebt, höhlt den Rechtsstaat aus. Facebook ist das de facto Soziale Netzwerk unserer Gesellschaft. Es ist ein großes Problem unserer Zeit, dass unsere virtuellen Marktplätze kein öffentlicher Raum, sondern Privateigentum sind. Die Frage, ob eine Facebook-Seite oder ein Post gelöscht wird, ist grundsätzlich anders zu bewerten, als die Entscheidung, ob ein Kneipenbesitzer einem schlecht riechenden Gast Hausverbot gibt. Wer in Sozialen Netzwerken unsichtbar wird, der existiert in der virtuellen Debatte quasi nicht mehr. Die Löschung eines Profils bei Facebook ist eher Vergleichbar mit einem Hausverbot in allen Kneipen des Planeten. Es ist das totale gesellschaftliche Aus.

Mit dem neuen Gesetz wäre es amtlich: Soziale Netzwerke sind dazu angehalten in Eigenregie bestimmen, was Meinungsfreiheit bedeutet. Damit wird das Recht auf Meinungsfreiheit in der virtuellen Welt faktisch ausgehebelt. Warum das schlimm ist? Stellen Sie sich vor, der Betreiber des größten sozialen Netzwerks der Welt würde nach nicht näher definierten Regeln z.B. festlegen, Aufrufe zu Anti-Nazi-Demos seien unerwünscht. Oder Gruppen für die Förderung der Rechte alleinerziehender Mütter. Oder Verweise auf „Das Leben des Brian“ an christlichen Feiertagen. So ganz utopisch ist das Gedankenspiel nicht – Geschäftsführer und Eigentümer sind austauschbar. Woher nehmen eigentlich alle das Vertrauen, dass die nächsten Eigentümer von Facebook & Co. nicht politisch andere Wege gehen wollen? Trump lässt grüßen…

Medienkompetenz

Das Gesetz ist nicht nur Mist, es ist brandgefährlich. Dieser Meinung ist auch eine ganze Reihe von Vereinen und Verbänden. Zu den Unterstützern einer in dieser Woche veröffentlichten „Deklaration für die Meinungsfreiheit“ zählen die Amadeu Antonio Stiftung, der Chaos Computer Club, der Deutsche Journalisten-Verband, der Digitale Gesellschaft e.V. und Reporter ohne Grenzen. In der Deklaration heißt es: „Internetdiensteanbietern kommt bei der Bekämpfung rechtswidriger Inhalte eine wichtige Rolle zu, indem sie diese löschen bzw. sperren. Sie sollten jedoch nicht mit der staatlichen Aufgabe betraut werden, Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Inhalten zu treffen. […] Gerade bei solchen Inhalten, bei denen die Rechtswidrigkeit nicht, nicht schnell oder nicht sicher festgestellt werden kann, sollte kein Motto „Im Zweifel löschen/sperren“ bestehen, denn ein solches Vorgehen hätte katastrophale Folgen für die Meinungsfreiheit.“ +1

Nach einem Jahr Hass auf allen Kanälen infolge einiger AfD-kritischer Beiträge kann ich die Beweggründe hinter dem Gesetzentwurf durchaus verstehen. Einige Soziale Netzwerke brauchen Ewigkeiten, um rechtswidrige Inhalte zu entfernen. Doch in einem Rechtsstaat arbeiten wir mit Gesetzen und nicht mit AGB, wir lassen Richter entscheiden und nicht Compliance-Manager. Dass uns Konzerne in der digitalen Welt ständig neue Datenverwertungs-Regeln zwecks Maximierung des Shareholder-Value aufzwingen ist schlimm genug. Mit diesem Gesetz würde Facebook endgültig – und mit Segen des Justizministeriums – zur Privatpolizei erhoben. Die Justiz im Prozess der Bewertung einer Löschentscheidung komplett außen vor zu lassen ist keine starke Ansage gegenüber Facebook – es bedeutet den Rückzug des Staates bei der Debatte um die Meinungsfreiheit im Netz. Kapitulation.

Warum macht das SPD-geführte Justizministerium so einen Murks? Bei mir hinterlässt dieser Gesetzentwurf vor allem den Eindruck eines Schnellschusses: Hauptsache alle haben das Gefühl „Wir haben etwas getan“. Schließlich ist bald Bundestagswahl. Doch „etwas“ tun bedeutet noch lange nicht, das Richtige zu tun. Wir brauchen keine Meinungsfreiheit von Facebooks Gnaden. Das einzig Richtige wäre in diesem Fall: Löschen.

PS: Die hier gezeigten Screenshots sind allesamt echt. Facebook löscht bereits jetzt nicht nachvollziehbar. Ein Grund mehr dafür zu sorgen, dass das nicht noch schlimmer wird.


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2 Kommentare

  1. Ein Unternehmen arbeitet stets profitorientiert. Facebook wird also ganz sicher lieber zu viel löschen als sich mit Millionen an Schadenersatzforderungen konfrontiert zusehen. Im Zweifel für das Geld und gegen die freie Meinungen. Es ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, dass der Staat hier quasi die Executive und Judikative in die Hand eines Privatunternehmens gibt. Ich muss bei dieser ganzen Debatte immer daran denken, ob wohl eine Papierfabrik haftbar wäre, wenn irgend jemand staatsfeindliche Propaganda auf deren Papierblättern vertreibt. Ein besserer Ansatz wäre es Kinder schon früh in der Schule in Medienkompetenz zu unterrichten. Herr Maas sollte mal mit Frau Schwesig Kontakt aufnehmen. Bei meinen Kids (6. und 3. Klasse) scheitert es leider an fehlender Hardware und mangelnder Kompetenz des Lehrkörpers. Statt immer neuer Sanktionen und Bestrafungen für die Wähler von heute, sollte man mal lieber an die Wähler von morgen denken.

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