BBC-Dokumentation über Amazon

Vor einigen Monaten hat mich ein Filmteam der BBC gefragt, ob ich ihnen etwas über meine Datenabfrage bei Amazon erzählen kann. Im Rahmen der Recherche für mein Buch „Die Daten, die ich rief“ hatte ich vor einiger Zeit von meinem Recht auf Auskunft Gebrauch gemacht und meinen Clickstream von Amazon angefordert. Ich bekam darauf hin eine lange Liste mit 15.356 Zeilen und mehr als 50 Spalten zugeschickt. Und das deckte wohlgemerkt „nur“ 14 Monate meines Nutzungsverhaltens ab. Hierzu muss ich ergänzen, dass ich für das Experiment versucht habe, Amazon über einen längeren Zeitraum hinweg möglichst viel zu nutzen. Da ich dort aber fast nur Bücher gekauft habe und auch sonst nicht so konsumfreudig bin, waren es im Vergleich zu Intensivnutzern gar nicht einmal so viele Produkte, die in meinem Warenkorb landeten… Trotzdem war der Datensatz gewaltig. Jeder Klick war erfasst worden. Die Datenanalystin Letty hatte sich diesen Datenberg damals angeschaut und konnte daraus extrem viel über mich ableiten. Etwa: Wann war ich wo im Urlaub? Wann bin ich beruflich nach Hamburg gependelt? Wann konnte ich nicht einschlafen? Von welchen Seiten aus (z.B. Spiegel-Online) habe ich Amazon angesteuert? Und: Wann war ich in der Uni-Bibliothek?

Mein Gespräch mit den BBC-Reportern ist in eine Folge der Sendung Panorama über Amazon eingeflossen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass das Thema Datensammlungen in der Doku derart ausführlich behandelt wurde. Auch die Geschichte von Amazon – wie Jeff Bezos aus einer Idee für einen neuartigen Buchversand ein globales Imperium schuf – wird sehr anschaulich erklärt. Viele Experten und ehemalige Weggefährten des Amazon-Gründers kommen zu Wort.

Ein frühes Datencenter von Amazon hieß „Helix“ – in Anlehnung an die menschliche DNA. Ein Ex-Amazon-Mitarbeiter berichtete dem BBC-Team folgendes: „Wir hatten wöchentliche Meetings, bei denen wir uns Abends bei Bier und Pizza Clickstreams von Nutzern angeschaut haben.“ Ein weiterer Mitarbeiter gab gegenüber den Reportern an: „Wir haben einzelne Nutzerinnen herausgezogen, die Daten an eine Wand projeziert, und versucht zu verstehen: Wer ist das? …alles was eine Nutzerin gemacht hat. Von ihren Käufen bis hin zu allen Sachen, auf die sie geklickt hat… und auf die sie nicht geklickt hat…

Die von der Dokumentation abgedeckten Themen reichen von Datenschutz über Marktmacht bis hin zu den Arbeitsbedingungen in den Versandzentren des Unternehmens. Hierbei kommen nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ zu Wort, sondern auch einfache Mitarbeiter und Gewerkschaftsvertreter. In der Doku werden etwa Ausschnitte aus einem geleakten Video gezeigt, in dem Amazon-Führungskräfte über „Warnsignale für Gewerkschaftsaktivitäten“ informiert werden.

Amazon hat mittlerweile eine unglaubliche Marktmacht. Der Konzern ist selbst einer der größten Anbieter im Online-Versandhandel und kontrolliert zugleich einen der wichtigsten Marktplätze für externe Verkäufer. Dadurch begibt sich Amazon in eine Position, in der sie sehr umfassende Informationen sowohl über die Angebots- als auch Nachfrageseite aggregieren können. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Ist es nicht höchste Zeit, bei Amazon regulatorisch einzugreifen? Insbesondere, weil der Konzern nicht nur beim Versandhandel entlang der Wertschöpfungskette expandiert, sondern auch darüber hinaus…

Dank massiver Investitionen in Zukunftstechnologien ist schon jetzt klar: Amazon will in zahlreichen Märkten mehr als nur einer von vielen Player werden. Das Unternehmen ist in einigen Branchen schon jetzt Marktführer. Selbst Amazon-Mitarbeiter sind zunehmend besorgt, weil das Unternehmen massiv in Technologien investiert, die perfekt zu einem Überwachungsstaat passen. Längst verkauft Amazon Gesichtserkennungssysteme an Sicherheitsbehörden. Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein Patent angemeldet, in dem dargelegt wird, wie Lieferdrohnen auch für „Surveillance as a Service“ eingesetzt werden könnten – etwa um Graffiti oder offene Türen bei Häusern von Kunden zu entdecken.

Die Autorin Shoshana Zuboff sagt, die zunehmende Nutzung von Alexa und ähnlichen Diensten, markiere einen Paradigmenwechsel. Wenn Familien eine Alexa im Wohnzimmer, Kinderzimmer und Schlafzimmer aufstellen, werden extrem aufschlussreiche Daten über die Psyche der Bewohner erfasst. Die Stimme transportiert eben mehr Informationen über unser Innenleben, als ein Text oder ein Klick. Die Stimme gibt Einblick in die emotionale Lage der Nutzer.

Amazon vermarktet Alexa als „neutrale Plattformen“ um andere Dienste darüber zu steuern. Auch hier setzt sich das Unternehmen wieder in eine Schlüsselposition um sehr umfassend Daten zu sammeln. Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn ein Konzern wie Amazon bei Millionen von Familien das Privatleben derart durchleuchten kann? Shoshana Zuboff sagt, dass wir derzeit Systeme aufbauen, die in fundamentalem Widerspruch zu einer freien und demokratischen Gesellschaft stehen. Ich finde, sie hat mit dieser Einschätzung absolut recht.

Fazit: Die Doku ist wirklich sehenswert und hat nebenbei bemerkt auch eine interessante musikalische Untermalung (z.B. Aphex Twin, Underworld, …). Umso mehr freut es mich, dass ich dabei sein durfte. Schaut sie Euch unbedingt an! Vielleicht gibt es sie ja auch irgendwann auf Deutsch…

Und falls Euch interessiert, wie so ein Amazon-Clickstream aussieht, schaut doch auch in den Vortrag von Letty und mir vom 35C3 rein. Letty ist Expertin für die Analyse und Visualisierung großer Datenmengen. Was sie aus meinen Datensatz über mich herauslesen konnte war schon sehr erschreckend. Der Titel unseres Vortrags lautete daher auch: „Archäologische Studien im Datenmüll“.


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