„Hass-Postings können wir nicht ignorieren, die brauchen Gegenwind“

– Ein Interview mit Susanne Tannert von #Ichbinhier

Seit mehr als einem Jahr ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Doch viel gebracht scheint es nicht zu haben. Das Konzept von „Sperren statt Anzeigen“ ist zudem umstritten. Grund genug, sich nach Alternativen umzusehen, die tatsächlich etwas bringen. Für eine Folge meines Podcasts Denkangebot zum Thema „Hass und Gewalt im Netz“ habe ich mit Susanne Tannert gesprochen. Sie ist Sprecherin der Initiative #Ichbinhier.

Was genau macht #Ichbinhier?

Susanne Tannert: #IchBinHier ist eine überparteiliche Facebook-Aktionsgruppe, die sich auf Facebook für eine bessere Diskussionskultur einsetzt und sich gegen Hassrede engagiert. Diese Aktionsgruppe hat mittlerweile mehr als 45.000 Mitglieder. Und warum Aktionsgruppe? Wir gehen auf Medienseiten auf Facebook und durchsuchen diese nach Beiträgen mit Hass-Kommentaren. Finden wir solche, verlinken wir diese Kommentarspalte in unserer Aktionsgruppe zurück und bitten unsere Mitglieder, sachlich gegenzuhalten und zu kommentieren. Wo vorher vielleicht nur einseitige Hassrede stand, gibt es danach viele verschiedene Kommentare zu dem Thema. Wir haben täglich im Durchschnitt mindestens drei Aktionen dieser Art.

Wir gehen auch in Shitstorms rein und stärken die Betroffenen. Das können ganz unterschiedliche Leute sein. Einmal war es der Kinderkanal, einmal waren es die Dresdner Philharmoniker. Man muss nicht immer mit dem übereinstimmen, was der oder diejenige an inhaltlicher Arbeit machen, aber man muss dem Hass widersprechen. Das tun wir in solchen Aktionen.

Als Drittes und letztes schauen wir uns auch an: „Was ist das für ein Hass? Wo kommt der eigentlich her?“ Wir haben nachweisen können, dass es nur eine Minderheit ist, die sehr laut ist. Ganz aktuell haben wir einen Beitrag zum Hass gegen die Klimaaktivisten Greta Thunberg veröffentlicht. Die Hälfte der Accounts, die in der letzten Woche hämische und diffamierende Beiträge zu Greta veröffentlicht haben, waren Fake-Accounts. Solche Sachen veröffentlichen wir auch über unseren Verein und zeigen auf, dass man darauf achten sollte, wen man in seiner Kommentarspalte hat.

Wie sind die Reaktionen, wenn ihr in Diskussionen reingeht?

Susanne Tannert: Wir erleben auch, dass wir als Gruppe angegriffen werden. Nach dem Motto, wir wären eine Meinungsmaschine oder würden Meinungen vorgeben, was nicht stimmt, da wir unsere Mitglieder nur dazu aufrufen, sachlich ihre Meinung zu vertreten. Wir können gar keine Meinung vorgeben und wir wollen das auch nicht. Das würde gegen unsere eigenen Regeln gehen. Manchmal heißt es auch “Stasi2.0” weil wir auf Kommentare hinweisen und die Redaktionen um Moderation bitten. Oftmals werden auch einzelne Mitglieder in Kommentarspalten angegangen. Es gab sogar Vergewaltigungsdrohungen. Das ist fatal, gerade in Verbindung mit dem Klarnamen unserer Unterstützer. Insgesamt glaube ich schon, dass wir die Stimmung in einer Kommentarspalte drehen können. Die Leute, die extreme Hasspositionen vertreten, können wir wohl nicht erreichen. Wir tun unsere Arbeit eher für die stillen Mitleser.

Was ist aus Deiner Sicht der größte Impact Eurer Aktionen?

Susanne Tannert: Wenn die ersten Kommentare Hasskommentare mit mehr als 100 Likes sind, stößt das Leute ab, vernünftig zu kommentieren. Viele sagen dann: “Das gebe ich mir jetzt nicht.” Ich glaube, wenn die stillen Mitlesen sehen, dass die Diskussion unter einem Beitrag halbwegs ausgewogen und sachlich ist, dann ist es auch einfacher, sich einzubringen. Wir haben einmal eine Analyse gemacht und konnten nachweisen, dass ein Großteil der Leute, die unsere Kommentare liken, gar nicht aus unserer Gruppe kommt, sondern von außerhalb. Das zeigt, dass die stillen Mitleser mitmachen.

Wir versuchen immer wieder, die Redaktionen darauf hinzuweisen, dass die ersten Kommentare sich darauf auswirken, wie der ganze Beitrag rezipiert oder gedeutet wird. Ich finde es wichtig, dass gut moderiert wird, damit nicht nur einseitige Kommentare darunter stehen, insbesondere keine, die menschenfeindlich sind. Es ist wichtig, dass für Reichweite auch Verantwortung übernommen wird.

Nun gab es ja viele Berichte über rechte geschlossene Gruppen, wie „Reconquista Germanica“, die gezielt Einfluss auf Diskussionen im Netz nehmen. Die Mitglieder werden dort dazu aufgerufen, möglichst viele Fake-Accounts anzulegen. Was unterscheidet Euch von solchen Gruppen, die auf der Gegenseite operieren?

Susanne Tannert: Wir halten die Hand dafür uns Feuer, dass unsere 45.000 Mitglieder echte Menschen sind. Dafür scannen wir die Profile vorher oder schauen uns die Leute genau an, die bei uns rein wollen. Wir erlauben nicht, dass Leute mit zwei Profilen bei uns in die Gruppe kommen. Viele sind bei uns mit Klarnamen unterwegs. Manche, die massive Drohungen bekommen, haben darum gebeten, dass sie ihren Namen abändern können, damit sie nicht so leicht gefunden werden. Aber der Großteil ist mit seinem privaten Profil bei uns.

Das ist schon natürlich ein gewisses Risiko. Da, wo wir unterwegs sind, läuft man Gefahr, auch angegriffen zu werden. Wir informieren in der Gruppe darüber, wie man sich dagegen schützen kann. Man sollte beispielsweise sein Profil dahingehend dicht machen, dass man die Freundesliste nicht öffentlich sieht und das man Dinge, die man auf seinem Profil postet, nur für Freunde sichtbar macht. Der Selbstschutz ist dann auch sehr wichtig.

Hast Du Tipps, wie erfolgreiche Gegenrede aussehen sollte, wenn man selbst aktiv werden will?

Susanne Tannert: Jeder hat da seine eigene Herangehensweise. Am besten reagiert man, indem man Hassbotschaften als solche benennt und sie verurteilt ohne sie zu wiederholen. Es ist wichtig, dass man sich mit den Leuten solidarisiert, die den Hass abbekommen. Wenn es um Hassbotschaften gegenüber bestimmten Personengruppen geht, sollte man sich auf die Basics beziehen, etwa auf die Menschenwürde. Wir haben ein Grundgesetz, das für alle gilt. Wenn es beispielsweise ums Kontern sexistischer Kommentare geht, dann frage ich die Leute immer direkt, wie es ihnen damit gehen würde, wenn die eigene Mutter, Tochter oder Freundin sich so etwas anhören müsste. Ich versuche also, Verständnis zu generieren

Ich erlebe immer wieder, dass ganz bestimmt Narrative gestreut werden. Diese gilt es aufzubrechen. Da geht es bis hin zur Entmenschlichung. Etwa, wenn Menschen mit Tieren oder Katastrophen gleich gesetzt werden. Beispiele dafür wären etwa Formulierungen wie “Migrantenflut” oder “Menschen, die nur kommen, um sich zu bereichern”. Gegen diese pauschale Diffamierung von Menschen hilft auch das Nennen von Statistiken und Fakten und das Hinterfragen: „Wo haben Sie das denn gehört? Wo haben Sie das denn gelesen?“ Wenn ich das mache, kommt da oft nichts mehr. Ich habe wirklich selten gute Diskussionen erlebt, bei denen Leute mir dann Fakten präsentiert haben.

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Eine häufige Reaktion auf Hass-Kommentaren lautet: „Dont´t feed the trolls!“ Übersetzt bedeutet das: Ignorieren ist die beste Lösung. Teilst Du diese Einschätzung?

Susanne Tannert: Es gibt die typischen Trolle, die einfach nur provozieren wollen. Die würde ich auch einfach ignorieren. Das spart Zeit. Aber Hass-Postings können wir nicht ignorieren, die brauchen Gegenwind. Wenn wir Kommentare von diesen Leuten so stehen lassen, glauben die stillen Mitleser, dass ein Großteil so denkt. Diese von einer Minderheit vorangetriebene Meinungsmache ist – wenn sie unwidersprochen stehen bleibt – gefährlich für den generellen Umgang miteinander. Ich finde es auch gefährlich für unsere Demokratie. Das, was da an Meinungsmache kommt, richtet sich auch oftmals gegen unsere Institutionen, gegen Politiker, gegen vieles, was unsere Demokratie ausmacht. Letzten Endes betrifft es auch den gesellschaftlichen Frieden.

Das „Worst-Case-Szenario“ für Betroffene ist ein Shitstorm. Was würdest Du Betroffenen oder auch passiven Mitlesern raten, wie man sich in solchen Situationen verhalten sollte?

Susanne Tannert: In dem Moment, in dem jemand von einem Shitstorm betroffen ist, zählt für diesen Menschen oder diese Institution erstmal, dass sie Unterstützung erfährt. Dass vielleicht erstmal ein Freund die Seite betreut und dort die Kommentare löscht. Ein großes Problem bei Facebook-Seiten ist, dass man den Kommentarbereich nicht schließen kann, um sich eine Atempause zu gönnen. Bei einem Shitstorm kommen Kommentare zu hunderten oder gar tausenden rein und man kommt gar nicht mehr mit dem Löschen hinterher. Oftmals ist der Inhalt der Kommentare heftig. Da sind Todesdrohungen dabei, Vergewaltigungsdrohungen etc.. Das hinterlässt Spuren. Auf keinen Fall sollte man solche Hass-Kommentare stehen lassen.

Wurdest Du schon einmal im Rahmen Deines Engagements bei #Ichbinhier bedroht?

Susanne Tannert: Bei mir kam einmal folgendes als Nachricht rein: “Ich hoffe Sie kommen auch mal in den Genuss von diesen drecks Moslem-Kanacken vergewaltigt zu werden. Mal sehen, ob Sie dann immer noch zu Ihren Goldstücken stehen. Ihnen wünsche ich nur das Schlimmste, Sie Dreckstück.” Ich habe erstmal geschluckt. Das ist schon harter Tobak. Das Profil habe ich dann gemeldet und der Account wurde auch recht schnell gelöscht. Diese Nachricht habe ich dann öffentlich gemacht und in meinem Freundeskreis geteilt, weil ich zeigen wollte, dass das der Alltag in sozialen Netzwerken ist. Das erwartet einen, wenn man versucht, sachlich zu kommentieren. Was ich mich frage ist: „Was zur Hölle bewegt Leute dazu, mir so was zu schreiben?“

Für solche Nachrichten habe ich meine Standardantwort. Ich frage die Leute, was in ihrem Leben schief gelaufen ist, dass sie meinen, mir solche Sachen an den Kopf werfen zu müssen. Ich wünsche den Leuten meistens noch einen guten Tag, verabschiede mich und blockiere sie dann. Ich habe für mich das Gefühl, dass es gut ist, eine Frage zurück zu werfen. Vielleicht denken der Absender darüber nach, vielleicht auch nicht. Auf jeden Falls ist er dann erstmal weg – blockiert.

Wenn Du einen Wunsch frei hättest, was würdest Du Dir wünschen?

Susanne Tannert: Mein Wunsch wäre, dass jeder, der sich in sozialen Netzwerk bewegt und sieht, dass jemand angegriffen wird oder böse Kommentare erhält, einfach mit einem Like oder einem kurzen Danke unterstützt. Dass er oder sie sich mit den Betroffenen solidarisch verhält und einfach kurz inne hält und sich einfach die Minute Zeit nimmt, etwas nettes zu schreiben oder einen kurzen “Like” zu vergeben. Das würde ich mir wünschen.

Dieses Interview ist ein gekürzter Ausschnitt aus einem Gespräch, welches ich mit Susanne Tannert für eine Folge meines Podcasts „Denkangebot“ zum Thema Hass und Gewalt im Netz geführt habe.


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