Warum die AfD einen Plan B braucht

Trotz allem glaube ich, dass Menschen sich ändern können. Dass Menschen sich irren können. Dass ein Einzelner etwas ändern kann. Immer. Auch in Sachen AfD. Und ich glaube auch dass wir uns mit der AfD auseinander setzen sollten. Dringend.

Bis zum vor drei Wochen fand man in den Medien nichts zum AfD-Wahlprogramm. Also sammelte ich in meinem Blog Informationen aus dem Programm und versah sie mit kritischen Kommentaren. Der Beitrag wurde viral. Hunderttausende Zugriffe und 52.000 Shares bei Facebook. Die AfD Baden-Württemberg veröffentlichte auf ihrer Seite diese Worte über mich: „Ihren polnischen Hintergrund, mit dem sie gerne kokettiert und den sie auch gegen die AfD anbringt, erwähne ich wegen Bedeutungslosigkeit nicht.““ – Achso.

Darauf hin sind 3 Dinge passiert

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1. Leute fingen an sich für das Programm der AfD zu interessieren und zahlreiche Zeitungs- und Fernseh-Beiträge über das Programm folgten.

2. Viele Menschen haben sich bei mir gemeldet und sich für die Informationen bedankt und versichert, nun ganz bestimmt nicht mehr die AfD aus Protest zu wählen.

3. Seitdem bekomme ich täglich Drohungen und Hass-Botschaften auf allen Kanälen. Und Freunde fragen mich – warum tust du dir das an?

„Warum tust Du dir das an?“

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Ganz einfach: Weil ich es muss. Ich war noch ein kleines Kind als meine Eltern nach Deutschland kamen. Als ich in den Kindergarten kam sprach ich kein Wort Deutsch. Ich sprach angeblich sehr lange kein Wort. Dann aber von einem Tag auf den anderen in Haupt- und Nebensätzen. Und alle fühlten sich verarscht. Ich glaube, ich weiß heute warum: Man wird oft für dumm gehalten nur weil man die Sprache nicht kann.

Heute spreche ich perfekt Deutsch. Man sieht es mir nicht an. Als Ausländer bin ich unsichtbar. Das macht mich zum unfreiwilligen Beobachter. In meiner Gegenwart kommt es öfter vor, dass ungeniert von „Polacken“ gesprochen wird. Ich habe schnell gelernt, dass ich klaue, nur zur Putzfrau tauge, selber schuld bin wenn ich kurze Röcke trage, immer nur schwarz arbeite, Arbeitsplätze wegnehme, dumm bin, mir nur einen reichen deutschen Mann angeln will und dass ich genetisch bedingt unangenehm rieche. Ach ja: Die Polen-Witze kenne ich alle. Auf dem Dorf meinte mal einer „Ex oder Türke“ und hielt mir das Glas zum Anstoßen hin. Es heißt Ex oder Arschloch, du Arschloch.

Die Bilder von Clausnitz haben sich in meinem Gehirn eingebrannt. Der weinende Junge der von einem Polizist aus dem Bus gezerrt wird geht mir nicht aus dem Kopf. „Wir sind das Volk“ grölen sie unbarmherzig weiter. Gegen Frauen. Kinder. Familien. In Deutschland brennen heute so häufig Flüchtlingsheime, dass es keine große Schlagzeile mehr wert ist. Erschreckend, wie schnell wir abstumpfen. Ist das die neue Normalität?

Mir kommen die Tränen vor Wut, wenn ich mir vorstelle dass wir damals von einem wütenden Mob wie in Clausnitz empfangen worden wären. Statt dessen half ein deutsches Ehepaar meinen Eltern sich zurecht zu finden. Für Aussiedler gab es damals Sprachkurse vom Goethe Institut. Unsere ersten Möbel waren Spenden. Meinen Freunden war es egal woher ich kam. Ich habe später studiert. Vor einigen Monaten habe ich bemerkt, dass ich sogar Sauerkraut mag. Ich bin vorbildlich integriert. Warum sollte sich jemand wie ich an der AfD stören?

„Warum sollte sich jemand wie Du an der AfD stören?“

katta

Ganz einfach: Ich bilde mir selbst meine Meinung. Ich habe mir in den letzten Wochen stundenlang Originalreden von AfD-Funktionären angesehen. Von Björn Höcke. Von Uwe Junge. Und vielen anderen. Ich habe Anträge gelesen und Wahlprogramme. Und ich habe mir auf Facebook angeschaut was die Landes- und Ortsverbände und die Kandidaten verbreiten. Auf was für Quellen sie dabei verlinken. Wo sie von der Maus abrutschen und aus versehen „Ja“ zum Schießbefehl tippen. Was für Kommentare sich unter Beiträgen sammeln. Welche davon wegmoderiert werden. Und welche nicht. Und mir wurde zunehmend flau im Magen.

Der „Schießbefehl“ oder Höckes Auslassung zum „afrikanischen Ausbreitungstyp“ sind kein Einzelfall. In der AfD erntet man dafür Applaus. Die Geister die man einst mit Plakaten wie „Wir sind nicht das Weltsozialamt“ rief, beherrschen jetzt die Partei. Unter den Funktionsträgern tummeln sich viele ehemalige Mitglieder rechtsradikaler Parteien. Die Partei schließt solche Leute heute nicht aus – sie heißt sie willkommen.

Lucke hat die Partei wegen des damals schon deutlichen Rechtsrucks verlassen. Seitdem hat sich die Partei weiter radikalisiert. Dieser Prozess ist noch lange nicht vorbei. Wer die AfD aus Protest wählen will, dem möchte ich nahe legen es mir gleich zu tun und sich selbst ein Bild zu machen. Denn das sind die Leute die Ihr mit Eurer Stimme in die Parlamente wählen werdet. Das sind die Leute die in den nächsten Jahren für Euch in Eurem Namen sprechen werden. Die in Eurem Namen gegen Schwule, Andergsläubige und Ausländer hetzen werden. Die sagen „Wir sind das Volk“. Wollt ihr das wirklich? Ich bin überzeugt, eine große Mehrheit will das nicht. Und viele der AfD-Wähler hadern derzeit mit sich, angesichts immer neuer extremer Aussagen der Parteispitze. Ich sage: Hört auf Euer Gefühl.

Die Leute, die in Clausnitz „Wir sind das Volk“ gegrölt haben lügen

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Die Leute die in Clausnitz „Wir sind das Volk“ gegrölt haben lügen. Sie sind es nicht. Lange nicht mehr. Und das ist gut so. Dieser Mob will gegen „Überfremdung“ vorgehen. Doch die Wahrheit ist: Jeder der diese schrecklichen Bilder sieht fühlt sich fremd im eigenen Land. Sie hetzten gegen Menschen mit anderem Glauben. Dabei ist ihre einzige Religion der Hass. Sie fordern „Leitkultur“ – und haben in Wahrheit jegliche Kultur verloren. Sie fühlen sich nur stark, wenn sie gegen Wehrlose hetzen können. Und das ist einfach nur erbärmlich.

Viel ist die Rede von der „Bleibeperspektive“ in den letzten Tagen. Ein schreckliches Wort. Wenn ich diese Bilder sehe und mit Freunden spreche, die wie ich eingewandert sind, geht es immer öfter um unsere „Bleibeperspektive“. In Zeiten wie diesen hat jeder von uns längst einen „Plan B“. Dabei ist hier unser zu hause. Aber wer will in einem Land voller Hass schon Kinder großziehen? Und meine deutschen Freunde nicken dann. Verstehen. Bedauern. „Bloß, was ist die Alternative?“, Fragen sie. Ganz einfach: Dagegen halten. Und niemals aufgeben. Ich glaube trotz all dem Hass, dass Menschen sich ändern können. Und ich glaube an die Vernunft. An Verantwortung. Und den freien Willen. Nicht an Herkunft und Abstammung. Oder Blut und Boden. Und das unterscheidet mich am meisten von diesen Menschen. Nicht meine Herkunft. Deshalb bleibe ich. Deshalb solltet auch Ihr bleiben. Sollen die sich doch einen Plan B suchen.


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23 Kommentare

  1. Die Interpretation des Wahlprogramms war völlig undifferenziert und überzogen. Ich wage sogar zu behaupten, es hat der AFD am Ende mehr genutzt als geschadet, weil sie nun nicht mehr als 1 oder 2 Themen Partei wahrgenommen wird. Ein linksaussen hätte die AFD sowieso nicht gewählt, wobei das was heute so alles als links gilt eher an faschistoide Konstrukte erinnert, als das was sogenannte Rechte oder gar Rechtsradikale so von sich geben.
    Insofern bin ich letzten Endes sogar froh, dass es noch eine bürgerliche Mitte gegen linksgrüne Ideologie gibt.

  2. Hey Josef von Gaalen, Nationalismus ist so 19. Jahrhundert! Weißt du, was los ist, wenn man Ideologien von vor 150 Jahren anhängt und selber pseudosoziologisch von den „Lügenkonstrukten“ anderer schwadroniert? Dann kann es sein, dass das Sauerkraut in der Hirnschale schon langsam angefangen hat zu faulen. Wenn du hart dran arbeitest, schaffst du es vielleicht irgendwann wieder die Realität zu ertragen, ohne dich an völkischen Mythen von vorvorgestern festhalten zu müssen. Ich empfehle eine Therapie, aber lass andere Menschen damit in Ruhe! Besser lecker rotrotgrüne Suppe, als kackbrauner Salat!!!

  3. Stimmt, die AfD hat sich so stark radikalisiert wie in Afrika oder Mexiko die Drogen-Banden. Rot-Rot Grüne Suppe hier, Linke hetze! Erwacht endlich, ihr Träumer!

    Jetzt erst Recht die AfD.

  4. @kattascha
    Ein eher schwacher Artikel. Warum? Du bezeichnest beispielsweise Clausnitz als Schande ohne die tatsächliche Schande, und die heißt Köln, auch nur am Rande zu erwähnen.

    Zur Erinnerung: Wir haben hier viele Ausländer aufgenommen (einige davon ohne legitimen Anspruch auf Asyl) und mit staatlichen Leistungen großzügig versorgt. Einige dieser Menschen haben zu Silvester in Köln tatsächlich die Frechheit besessen dieses gastfreundliche Verhalten der Deutschen skrupellos auszunutzen und zu verspotten. Das ist die eigentlich Schande über die in D nicht gesprochen wird und über die anscheinend auch nicht gesprochen werden darf.

    Die AfD stellt in diesem Zusammenhang die einzige Wahlalternative zur naiven „Willkommenskultur“ dar. Deshalb ist es erst einmal gut, dass es eine solche Partei gibt.
    Demokratie bedeutet eine Wahl zu haben. Und die AfD ermöglicht diese.

  5. Hallo, glaubst du, daß diese Erkenntnis irgendetwas bringt, wo auf der ganzen Welt solche Leute Zuspruch erfahren ? Was glaubst du, wie die Welt aussieht, wenn das faschistische Superarschloch Donald Trump in den USA gewählt wird ? Hast du mal seine Reden gehört, zB. Muslime in den USA alle mit einem gelben Stern zu etikettieren ? Dagegen sind die AfDler Waisenknaben, die wohl auch nie einen Bundeskanzler stellen werden.

  6. Frage an XXX: Und was taten Sie in den letzten 20-25 Jahren? Wer ist Mitglied in einer politischen Partei, wer engagiert sich politisch? Auf dieser Ebene sehen die wenigsten unter uns auf eine aktive politisch wirksame Rolle. Die Wenigen die es getan haben und weiterhin oder ab jetzt tun, brauchen Menschen neben und nicht gegenüber sich. Wie zum Beispiel Katharina.

  7. Danke, dass du so stark bleibst.
    In letzter Zeit viel es mir immer schwerer die Nachrichten zu lesen. Nicht zuletzt durch die Vorfälle in Clausnitz und in Bautzen. Ich sehe es mir an und frage mich, wie nicht nur so ein Rechtsruck in Deutschland wieder funktionieren kann und gleichzeitig, wie wohl die Politik/Sozialkunde- und Geschichtsnoten der AfD-Wähler und PEGIDA-Anhänger ausgesehen haben.

    Ich möchte nicht in einer Welt leben, wo jeder Egoist ist. Nur an sich selber denkt und jeden, der auch nur eine andere Meinung hat gleich diffamiert und mit Vorurteilen anprangert wird.

  8. Danke dir für diesen Text und überhaupt für die Aufklärung, die du zum Thema AFD betreibst. Ich fühle genauso wie du. Und ich stimme dir voll zu, dagegenhalten ist wichtig!
    Wie Martin Luther King schon sagte, damals zu einem anderen Thema aber genauso passend hier und heute:

    „Our lives begin to end the day we become silent about things that matter.“

  9. „Mir kommen die Tränen vor Wut, wenn ich mir vorstelle dass wir damals von einem wütenden Mob wie in Clausnitz empfangen worden wären.“

    Absolut. Ich habe mir beim Gucken dieser Videos Ähnliches vorgestellt, wie es wäre, wenn ich nach Sachsen umziehen wollte und da grölt eine Menge „Scheiß-Wessis, weg hier!“ oder sowas

  10. Du meinst wohl extremer rechtsruck? Wo gibt es denn seit der letzten Bundestagswahl noch linke Politik? Gäbe es diese hätte es wohl nicht den ganzen Sozialabbau gegeben den man jetzt den Flüchtlingen in die Schuhe schiebt. Alle regierenden Parteien liefern sich ein wegrennen um die rechteste Position in der Fluchlingddebatte. Das ist übrigens genau die Politik gegen den kleinen Mann die die AfD jetzt gerne weitertreiben möchte.

  11. guter text, den leider viele der afd-wähler nicht lesen oder gar verstehen werden. leider ist die afd eine folge, dass die Politik in den vergangenen 20-25 jahren gefühlt konsequent am kleinen mann vorbei und auf dessen kosten regiert hat. Dazu kommen der extreme linksruck der CDU unter Merkel, unter dem die CSU auch leidet, die Ideenlosigkeit der SPD und das parteienvakuum am rechten Rand, wo die CSU gerne wieder hin möchte, aber wegen der dann wahrscheinlichen Spaltung von der CDU keine Zukunft in irgendwelchen regierungskonstellationen mehr hätte.

  12. Jede Stimme der Vernunft, die sich gegen diesen Irrsinn erhebt,gibt mir die Kraft weiterzukämpfen und die Hoffnung nicht zu verlieren. Danke, Kattascha.

  13. Zuallererst vielen Dank!
    Für die Aufklärungsarbeit, die du leistest.
    Für dein Durchhaltevermögen, dass du nicht unter den Hatern einknickst.
    Dass du trotz allem sachlich und (selbst)ironisch bleibst.

    Ich habe Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft. Trotzdem finde ich es wichtig, dass der Hass bekämpft wird. Es wird immer einen (ich sage das nicht gerne) „Bodensatz“ geben, vielleicht 5%, die sich nicht bekehren lassen. Der Rest, die Unzufriedenen und Ängstlichen, müssen überzeugt werden, dass es andere Alternativen als die AFD gibt.

    Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und Erfolg für deine Arbeit!

    Liebe Grüße,
    Sebastian

  14. Du bist einfach toll!! Tausend Dank. Bitte immer weitermachen. Nicht nur solche Geschehnisse wie gestern, auch die Stammtisch- und Strassengespräche machen mich teilweise fassungslos. Und ich möchte mich niemals schämen müssen, Deutscher zu sein.

  15. Die AfD ist und bleibt eine Minderheit, egal wie laut sie toben und brüllen und schreien.
    Die immer verächtlich vom Mainstream redet, also von der Mehrheit.
    Und darum geht es in der Demokratie, um die Mehrheit.

    Der Minderheit gefällt also nicht, was die Mehrheit will.
    Wenn eine Minderheit regieren will, nennt man das Diktatur.
    Nichts anderes will die AfD und Pegida.
    Sie wollen die Diktatur, keine Demokratie!

  16. Du bist nicht alleine, mit deiner meinung und deinem kampf. Im Gegenteil du bist in der Mehrheit!

  17. Danke für diesen tollen Text. Du hast ein gutes Herz und ich glaube fest, dass Dein Einsatz viel gutes bringen wird. Danke dass es Menschen wie Dich gibt.

  18. Was bringt es denn, wenn jeder nur zusieht sich selbst zu retten? Wir müssen zusammenstehen und den Hetzern, den Rassisten, den faschistoiden Gestrigen zeigen, dass Liebe & Mitgefühl immernoch stärker als Hass & Ablehnung sind! Das macht uns als Mitmenschen aus und dafür stehen wir laut ein, wir überlassen ihnen nicht unser aller Zukunft!
    Danke für Deine Arbeit & Deine Engagement, du bringst damit den Funken Vernunft wieder zurück in diese in den Angst-Hass-Gewalt abgerutschte Diskussion!

  19. Danke.
    Menschen wie Du sind ein Grund für mich noch etwas Hoffnung für dieses Land zu haben. Ich wünsche Dir weiterhin viel Kraft bei Deiner Arbeit.

    Ekki

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