„Mut zur Wahrheit“ – so lautet der offizielle Slogan der AfD. In Sachsen lautet er „Mut zu Deutschland“. Wer erfahren will, wie die AfD zum Mob von Clausnitz steht, wartete am Wochenende vergeblich. Das AfD-Mitglied Hetze war als Leiter für das Heim zuständig. Er war einer der wenigen die wussten, wann der Bus mit den Flüchtlingen ankommen würde. Pikantes Detail: Sein Bruder soll den grölenden Mob mitorganisiert haben. Inzwischen ist ihm die Leitung des Heims entzogen worden. Jetzt postet die AfD Sachsen einen Kommentar auf ihrer Facebook-Seite: „Mit der Demonstration gegen den Bus hat die #AfD nichts zu tun.“ Damit widersprechen sie der Parteichefin Petry, die zugibt, dass AfD-Mitglieder an dem Mob beteiligt waren.
Dieser Einsatzbericht hat es in sich
Nicht nur ganz Deutschland sondern längst auch die internationale Presse empört sich über die Bilder von Clausnitz. Doch der Umgang von Polizei und Politik mit dem Skandal ist mehr als verstörend. Allein der Einsatzbericht der Polizei Sachsen wirft viele Fragen auf.
„Bei Eintreffen der Streifenwagenbesatzung befinden sich 30 bis 40 Personen im Zufahrtsbereich der Asylunterkunft. Zudem sind drei Fahrzeuge (Traktor mit Schiebeschild, Klein-Lkw und Pkw) in Form einer Blockade in der Zufahrt abgestellt.“
„Nach einem Lageüberblick bittet der zu diesem Zeitpunkt den Einsatz führende Beamte des Reviers die Versammelten um Ruhe und erteilt der Personengruppe einen Platzverweis. Dem leistet niemand Folge. Der Beamte erklärt die drohenden Konsequenzen des Nichtfolgens (Räumung, ggf. unter unmittelbarem Zwang). Die Versammelten reagieren mit Gelächter.“
Drei Stunden lang dauert die unangemeldete Versammlung an. Der Platzverweis der Polizei wird ignoriert. Von den Teilnehmern der Demonstration werden keine Personalien aufgenommen. Nur die drei Fahrzeughalter werden ermittelt. Polizeipräsident Uwe Reißmann wird später sagen: „An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln.“ Zu sagen, die Polizei würde nun die Hände in den Schoß legen und untätig bleiben, wäre jedoch falsch. Eine Mitschuld für die Eskalation ist schnell gefunden. Laut Polizei wird eine Strafanzeige gegen 3 „Provokateure“ geprüft. Flüchtlinge, die es gewagt haben während des stundenlangen Schreckens-Erlebnisses im eingekesselten Bus emotional zu reagieren. Als Beispiel wird der Fall eines zehnjährigen Jungen vorgebracht, der der pöbelnden Menge den Mittelfinger zeigte.
Die Aussagen des Polizeipräsidenten zu #Clausnitz sind erbärmlich & peinlich: https://t.co/nNboNKDNXg pic.twitter.com/mkDhZDrk1t
— Katharina Nocun (@kattascha) 21. Februar 2016
So werden aus Opfern Täter gemacht
An dieser Stelle ergeben sich spannende Parallelen: Denn auch AfD-Chefin Frauke Petry macht die Flüchtlinge für die Eskalation mitverantwortlich: „Es gab wohl auch sehr unschöne Äußerungen der ankommenden Flüchtlinge, Stinkefinger und diverse Anschuldigungen“. Im übrigen sei selbstverständlich Merkel schuld, aufgrund ihrer Asylpolitik. Frage: Was würden Sie tun wenn Ihr Bus mit etwa zwanzig Mitinsaßen, darunter Frauen und Kinder, von einem schreienden und grölenden Lynchmob umzingelt worden wäre. Ruhig bleiben? Sowohl AfD als auch die Polizei versuchen mit solchen Aussagen die Rollen von Opfer und Täter zu vertauschen. Und das ist schändlich.
Das Video aus Clausnitz wurde zunächst stolz auf einer rechten Facebook-Seite präsentiert – als Erfolg. Denn rechtlich gab es tatsächlich keine Konsequenzen für die 100 Teilnehmer des Lynchmobs. Der Einsatzbericht zeigt: Zweieinhalb Stunden nach dem erteilten Platzverweis stehen sie noch da und grölen und drohen unbekümmert weiter. Wir alle kennen die Bilder. Dass es unmöglich wäre innerhalb so einer langen Zeit keine Verstärkung anzufordern kann bezweifelt werden. Dass es richtig ist einen Lynchmob direkt am Bus ihre Parolen grölen zu lassen auch. Trotzdem sagen Polizeipräsident und Bundespolizei, es wäre alles richtig gemacht worden.
Wer weiß, wie unangemeldete Versammlungen und Platzverweise in anderen Kontexten von der Polizei geahndet werden, der kann gar nicht anders als Entsetzen empfinden. Drei Stunden lang konnten die Täter ungehindert rechte Parolen grölen: „Mal sehen, was hier für Ungeziefer aussteigt!“, „Weg mit dem Gelumpe!“ oder „Asylantengesindel!“. Und das direkt an den Bus-Scheiben hinter denen Flüchtlinge sich zu Tode ängstigen. Ein Vorgehen gegen die Opfer dieses Mobs als angebliche „Provokateure“ durch die Polizei ist nicht nur politisch ein fatales Signal. Sie ist auch menschlich schändlich. Wenn Vertreter der Staatsgewalt aus Opfern Tätern machen, dann ist die Botschaft doch diese: Gegen die Täter sind wir machtlos, doch wer sich gegen den Rechten Mob wehrt, der wird dafür bezahlen müssen. So wird die braune Schande von Clausnitz salonfähig gemacht. Kein Wunder, dass nur die Täter applaudieren.
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Markierungen 02/24/2016 - Snippets
[…] Clausnitz: Wie Schande salonfähig wird | Katharina Nocun […]
Frank
1. Warum denken einige Menschen, dass Flüchtlinge das richtige Ziel der Wut sind?
Weil sie die Schwächsten sind. Gegen die Politiker können sie angeblich nichts tun. Schon deshalb nicht, weil viele gar nicht mehr wählen gehen. Als Grund wird angegeben, dass Wahlen verboten wären, wenn sie etwas ändern würden.
2. Warum genau sind die Menschen wütend?
Niemand fragt sie. Ich vermute denselben Grund, warum die Leute Auto fahren wie die Wildsäue: die größte Angst ist die, abgehängt zu werden, zurück gelassen zu werden, nicht mehr dazuzugehören. „Hartz IV“, von Kommerzsendern stigmatisiert, ist die Endstation dieser Gesellschaft. Geld für die Scheißhäuser der Schulen ist nicht da, aber eine Bürgschaft für mehrere Milliarden Euro war kein Problem.
Und es trifft immer die Schwächsten. Auch weil eine Ordnungsmacht fehlt, die das einzige Produkt des Staates wieder populär macht: Gleichberechtigung.
3. Kann man Vorurteile im Vorfeld aufklären, bevor man Flüchtlinge an Orte wie Clausnitz schickt?
Ja, das half aber oft nicht nur nichts, es sorgte erst für Widerstand.
4. Kann man im Vorfeld bestimmen welche Orte sicher(er) sind? Eventuell sollte man dann einfach keine Flüchtlinge an diese Orte schicken. Wenn es dann um Lastverteilung geht, müssen diese Unsicheren Orte halt den Anteil der Flüchtlinge bezahlen, die dann woanders untergebracht werden (z.B. hier in Karlsruhe habe ich so was noch nicht gesehen. Im Gegenteil, Flüchtlinge werden hier freundlich begrüßt / gut behandelt soweit ich das im Blick habe)
Das würden die Leute erst recht nicht verstehen. Sie fragen sich (zu Unrecht), wo auf einmal das ganze Geld herkommt, das vorher überall gefehlt hat. Diese Frage hat auch noch kein Politiker beantwortet.
5. Kann man die Wut auf sinnvollere Ziele lenken (z.B. Bundesregierung, die den Bundestrojaner einführt / Probleme in der Leiharbeit nicht behandelt, die durch den Verkauf von Waffen in Kriesenregionen Verantwortung an künftigen Unruhen / Flüchtlingsströmen trägt, die die steigende Umverteilung der Vermögen von unten nach oben nicht bekämpft, die bei TTIP nicht für Transparenz sorgt und vermutlich einige unserer Rechte verscherbelt, …)
Wir haben es nicht mit Akademikern zu tun. Sondern mit RTL-Zuschauern. Dummheit ist für Privatsender die Existenzgrundlage.
FW
Martin Thoma
Wenn ich diese Bilder und Kommentare sehe, muss ich sofort an Bilder um 1933 denken. Und leider auch an verschiedene Kommentare rund um Trump / den US-Wahlkampf.
Man sieht, dass die Menschen wütend sind. Und sie lassen es an den Flüchtlingen aus. Da gibt es gleich mehrere Fragen:
1. Warum denken einige Menschen, dass Flüchtlinge das richtige Ziel der Wut sind?
2. Warum genau sind die Menschen wütend?
3. Kann man Vorurteile im Vorfeld aufklären, bevor man Flüchtlinge an Orte wie Clausnitz schickt?
4. Kann man im Vorfeld bestimmen welche Orte sicher(er) sind? Eventuell sollte man dann einfach keine Flüchtlinge an diese Orte schicken. Wenn es dann um Lastverteilung geht, müssen diese Unsicheren Orte halt den Anteil der Flüchtlinge bezahlen, die dann woanders untergebracht werden (z.B. hier in Karlsruhe habe ich so was noch nicht gesehen. Im Gegenteil, Flüchtlinge werden hier freundlich begrüßt / gut behandelt soweit ich das im Blick habe)
5. Kann man die Wut auf sinnvollere Ziele lenken (z.B. Bundesregierung, die den Bundestrojaner einführt / Probleme in der Leiharbeit nicht behandelt, die durch den Verkauf von Waffen in Kriesenregionen Verantwortung an künftigen Unruhen / Flüchtlingsströmen trägt, die die steigende Umverteilung der Vermögen von unten nach oben nicht bekämpft, die bei TTIP nicht für Transparenz sorgt und vermutlich einige unserer Rechte verscherbelt, …)
5.
Martin Thoma
Die Bilder von Clausnitz sind erschreckend. Genauso erschreckend sind die Kommentare unter dem YouTube-Video.
Ich bin der Meinung, dass man klar formulieren muss, was man sieht: Einen Mob, der unmittelbar vor einem Bus von Flüchtlingen steht und fordert, dass diese Verschwinden. Polizisten, die die Flüchtlinge zwingen aus dem Bus in das Haus zu gehen.
Die Beleidigungen die sich beide Seiten an den Kopf werfen sind nicht produktiv. Obwohl man klar sagen muss, dass für diese Drohgebärden gegenüber Menschen in unserem Land kein Platz ist, sollte man die Leute nicht nur als Nazis beschimpfen. Das Verhärtet nur die Fronten und verschärft die Situation.
Interessant wäre zu wissen, wie man die Situation verbessern kann. Warum ist diese enorme Wut gegenüber Ausländern / Flüchtlingen / Fremden da? Was kann man dagegen tun?