Rant: Warum wir mehr verdient haben als Sachzwänge

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Angela Merkel gilt als die mächtigste Frau Europas. Das Bruttoinlandsprodukt ist so hoch wie nie zuvor. Deutschlands Arbeitsmarkt ist eine Oase in einem Meer von europäischer Arbeitslosigkeit. Wir sollten froh sein. Doch das Gegenteil ist der Fall. Uns wurde gepredigt die Globalisierung mache alle besser, führe zu gesamtgesellschaftlichem Gewinn. Rein rechnerisch ist das nicht falsch. Nur haben wir leider verpasst zu fragen wie die Gewinne verteilt sind. Fakt ist: Kapital wird heute geringer besteuert als in den Jahren zuvor. EU-Mitgliedsstaaten konkurrieren ihren Sozialstaat heute mit Steuererleichterungen zu Tode – im verzweifelten Kampf um Produktionsstandorte mit Jobs. Das ist kein Aufbruch zu mehr Produktivität. Tatsächlich ist es der Kniefall vor transnationalen Unternehmen. Wir feiern uns für einen Mindestlohn von 8,50 – wer sein ganzes Leben diese Betrag verdient wird in der Rente trotzdem aufstocken müssen.

Ein Durchschnittsverdiener zahlt in Deutschland auf jeden verdienten Euro rund die Hälfte Abgaben und Steuern. Steuern sind an sich nichts verkehrtes weil wir ja auch eine ganze Menge bekommen: Krankenhäuser, Straßen, Bildung und Polizeischutz. In den letzten Jahren hat der US-Konzern in Apple im Durchschnitt nur 2,8 Prozent Steuern auf seine Auslandsgewinne gezahlt. Damit ist Apple in guter Gesellschaft, viele transnationale Konzerne drücken sich vor ihrem gerechten Anteil. Nutzt Apple etwa nicht die Infrastruktur in den Ländern, in denen man Gewinn macht: Straßen, Polizei, Rechtsstaat? Am Kurfürstendamm hier in Berlin steht ein Apple Store in der teuersten Gegend der Stadt. Ein paar Meter weiter schlafen Obdachlose unter der S-Bahn. Diese Ungerechtigkeit zerreißt einigen das Herz. Mir zerreißt sie das Hirn weil es keinen rationalen Grund gibt das als Gesellschaft zu dulden.

Was haben wir uns über Leaks zur Steuervermeidung empört und über den Sinn und Unsinn von Briefkastenfirmen in Panama diskutiert. Was uns wie organisiertes Verbrechen erscheint, ist in weiten Teilen legal. Das ist der stille Krieg, der gegen unsere Zukunft geführt wird. Steueroasen sind Massenvernichtungswaffen gegen den Sozialstaat. In einem Rechtssystem, in dem unmoralische und zutiefst systemschädliche Handlungen legal sind, ist etwas kaputt und sollte repariert werden. Und doch sind wir uns noch nicht einmal darin einig, diese Handlungen politisch abzustrafen. Mit Jean-Claude Juncker steht immer noch ein Mann an der Spitze der EU, in dessen Amtszeit als Regierungschef von Luxemburg zahlreiche Steuervermeidungsdeals mit Großkonzernen geschlossen wurden. Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

Sechs Jahre lang muss ein Normalsterblicher bei einer angemeldeten Insolvenz so gut wie alles an seine Gläubiger geben. Wären wir eine Bank, wäre das nicht notwendig, denn der Staat würde einspringen. Wir könnten noch im selben Jahr Millionen-Boni an eben jene ausschütten, die den Karren in den Dreck gefahren haben. Denn Banken sind systemrelevant, so heißt es jedenfalls. Wenn Gewinne privatisiert, die Risiken aber auf den Staat abgewälzt werden ist das die ultimative Bankrotterklärung. Der Lerneffekt: Na, dann können wir ja beim nächsten Mal wieder Risiken eingehen. Je höher, desto besser. Zahlen tun wir alle. Wir werden von Sachzwängen regiert. Wir zahlen brav in die Riester-Rente ein, dieses großartige Geschenk der Sozialdemokratie an die Finanzbranche. Doch wenn wir mit unserem mickrigen Mindestlohn nicht über die Grundsicherung kommen, wird uns selbst dieses mühsam ersparte Geld wieder abgezogen. Die Botschaft: Du bist nicht systemrelevant. Aber wer will sich damit schon abfinden?

Es gibt guten Grund zur Sorge. Die Welt ist im Ungleichgewicht. Zu Zeiten meiner Eltern konnte ein Normalverdiener eine Familie ernähren. Heute sehen die Kinder des Wirtschaftswunders wie ihre Kinder von solchen Verhältnissen nur träumen können. Die Goldgräberstimmung der Nachkriegszeit ist vorbei. Reichtum wird heute in den meisten Fällen vererbt, nicht verdient. Der „American Dream“ ist nicht mehr als ein Märchen. Für einige wenige gelten längst nicht nur andere Regeln, wir spielen nicht einmal mehr das selbe Spiel. Und die Partei, die sich in Deutschland gerade als „Protestpartei“ aufspielt, will die Erbschaftssteuer für Reiche komplett abschaffen. Milliarden verschenken, die in Schulen, Krankenhäusern und der Infrastruktur fehlen einfach den Reichen schenken. Das ist kein „Protest“, das ist verdammt etabliert.

Dank Abkommen wie TTIP und CETA wir der Raum für demokratische Entscheidungen immer kleiner. Wenn wir ihn überschreiten, dann Zahlen wir Strafe an Konzerne. Das ist verkehrte Welt. Face it: Wenn wir unsere Demokratie irgendwann zu Tode auf „marktkonform“ optimiert haben, bleibt davon nichts mehr übrig. Ich wünsche unseren Kindern jemanden der ihnen sagt: Du bist nicht Dein Schulabschluss. Du bist nicht Dein Marktwert. Du bist nicht Dein Bankkonto. Du bist nicht Deine Herkunft. Du bist ein einzigartiger Mensch der mehr verdient als von Sachzwängen verwaltet zu werden. Vergiss das niemals. Und fordere es auch ein!


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3 Kommentare

  1. Guter Punkt. Nur hier war ich etwas verblüfft: „Sechs Jahre lang muss ein Normalsterblicher bei einer angemeldeten Insolvenz so gut wie alles an seine Schuldner geben.“ … sollte es nicht „Gläubiger“ statt „Schuldner“ heißen?

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