Filter-Souveränität und digitale Königreiche

Der moderne Internet-Nutzer ist Filtersouverän. Selektion und Netzwerke sind Strategien, um mit der Komplexität und Masse der im Netz auf uns einprasselnden Informationen umzugehen. Der Filter-Souverän herrscht über ein digitales Königreich aus Regeln, Filtern und Voreinstellungen. Teils bewusst, teils unbewusst. Aber was für Folgen hat das für den eigenen Informationshorizont und die Selbstwahrnehmung?

Menschen-Filter: Du hast recht!

Im Prinzip ist wenig verwerfliches daran, eingehende Informationen irgendwie zu ordnen. Und wer mich offensichtlich unsachlich beleidigt, der hat irgendwann auch meine Aufmerksamkeitsspanne verwirkt. Andere sind da radikaler: Wer nervt, wandert in den Spam-Ordner oder wird kurzerhand geblockt. Problematisch wird der Menschen-Filter, wenn man anfängt, auch sachliche Kritik zu blocken oder als Spam abzutun.

Wer kennt nicht die Situation, wenn gute Freunde nervige Ratschläge erteilen, die man ignoriert und sie das einem auch Monate später mit den Worten „habichsdirdochgesagt“ unter die Nase reiben – weil sie recht behalten haben und man selbst unrecht. Nun, im Gegensatz zu analogen Freunden sind rein virtuelle Kontakte von denen man sich abkoppelt, meist erst einmal im Äther verschwunden, wenn man nicht Eigeninitiative zeigt. Das „habichsdirdochgesagt“ verhallt somit ungehört.

Wer sich allzu gern von schmeichelnden Kommentaren verwöhnen lässt, baut sich schnell eine rosarote virtuelle Brille. In einer kuschelig konformen Umgebung kann jegliche Kritik nur ein Fremdkörper sein, ohne Kontroversen ist es aber auch dafür schnell langweilig. Wer kennt nicht diese Debatten, bei denen sich alle irgendwie einig sind und nur noch nicht jeder zu allem etwas gesagt hat. Das ist vielleicht eine zeitlang spannend – aber irgendwann eben auch intellektuell reizlos.

An einem bestimmten Punkt sollte man sich die Frage stellen, was man auf der jeweiligen Kommunikationsplattform möchte. Will man eingelullt, unterhalten, gebildet oder informiert werden. Meist ist es eine Mischung aus verschiedenen Aspekten. Wenn man aber denkt, man werde informiert und dabei längst einen Großteil von Debatten durch Vorselektion ausblendet, dann läuft etwas verkehrt. Auf die Mischung kommt es eben an.

Medien-Filter: Alle reden davon!

Ich bekenne mich schuldig. Ich lese täglich heise, fefe, techdirt, telemedicus und netzpolitik. Bei den großen Tageszeitungen wandert mein Auge automatisch zur Rubrik „Digital“ oder „Netzwelt“. Ansonsten lese ich viele Mailinglisten. Zu viele Mailinglisten. Aber eben nicht nur.

Wer erst einmal den Status eines Nerds in was-auch-immer erworben hat, vergisst schnell, dass der Rest der Menschheit sich durchaus noch für andere Themen auf der politischen Agenda interessiert. Große Teile der Menschheit haben sich wahrscheinlich nicht eingehend mit hochspannenden Fachdebatten befasst. Das ist auch nicht weiter schlimm. Wer grundsätzliche Fragen der Tagespolitik verfolgt ist aber klar im Vorteil, wenn es darum geht herauszufinden, ob die eigenen Themen nicht von anderen überlagert werden oder vielleicht irgendwo einen Anknüpfungspunkt haben.

Wer sich ein umfassendes Bild machen möchte, der sollte möglichst alle Seiten betrachten. Wahrscheinlich ist die Seite, die einem persönlich näher ist irgendwie verlockender – das darf uns aber nicht davon abhalten, Gegenmeinung mindestens ebenso so viel, wenn nicht sogar mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Warum also nicht mal als Befürworter des Grundeinkommens eine Studie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ lesen oder als Datenschutzfundamentalist einen Vortrag zu „Post-Privacy-Thesen“ anschauen? Warum nicht mal eine Tageszeitung abonnieren, die nicht das schreibt, was man hören will aber dafür wach macht? Wieso nicht mal einen Dialog anfangen und Dinge persönlich ausdiskutieren – könnte ja spannend werden!?

Dienstleister-Filter: Ich weiß was du willst!

Anbieter, die Suchanfragen gemäß des vorherigen Verhaltens der Nutzer anpassen, wollen, dass wir uns wohl fühlen. Die Tatsache, dass unsere virtuelle Umgebung auf der Basis unseres vorherigen Daten-Konsumverhaltens optimiert wird, hat jedoch ein Geschmäckle.

Die meisten Menschen sehen die digitale Welt durch Filter, die auf vergangenem Verhalten basieren. Dieser Filter wird über die Ergebnisse des reinen Suchalgorithmus gelegt und sorgt dafür, dass zwei Menschen bei gleicher Suchanfrage unterschiedliche Antworten präsentiert bekommen. Durch vorangegangene Suchanfragen und das Klickverhalten entsteht eine bestimmte Pfadabhängigkeit. Teilweise wird es zur sich selbst erfüllende Prophezeihung, wenn wir automatisch auf die zu erst gelisteten Ergebnisse klicken, einfach nur, weil sie als erstes erscheinen.

Ohne es zu merken kann es also sein, dass wir uns längst in einer Dienstleister-Filter-Bubble bewegen, wenn wir bei Google oder Amazon gezielt nach kontroversen Inhalten suchen. Und vielleicht bekommen wir dann doch wieder Inhalte präsentiert, die uns insgeheim nach dem Mund reden. Sich darüber bewusst werden ist der erste Schritt aus der schönen Dienstleister-Bubble. Ab und zu die IP-Adresse wechseln, andere Suchquellen nutzen und Tracking-Cookies aus dem Browser entfernen kann auch nie schaden.

Zu Risiken und Nebenwirkungen…

Die eigenen Argumente wachsen gewöhnlich an der Kenntnis der Gegenthesen, denn eben gegen diese gilt es die eigene Position zu verteidigen. Unser Gehirn brauch ausgewogene Nahrung. Jeden Tag Süßigkeiten machen uns träge und ständiges Schulterklopfen macht irgendwann auch keinen Spaß mehr. Unsere Kritikfähigkeit und unsere Fähigkeit gegen Kritik zu argumentieren lebt von der Konfrontation mit Gegenargumenten und Gegenkonstrukten zu unserem Weltbild. Wer wirklich außerhalb von Schubladen denken will, muss auch anfangen, seine Informations-Umgebung und seine Such-Werkzeuge zu hinterfragen. Und nicht zuletzt sich selbst, immer wieder aufs neue. Alles andere wäre auch langweilig.

Sehenswert:

* TED-Talk von Eli Pariser: Beware online „filter bubbles“

(Bild: Screenshot, Zeichnung: Charlotte zu Hirsch)


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Ein Kommentar

  1. Vorgeschaltete Filter und eine Umgebung, die uns nur das Altbekannte präsentiert engt auf lange Sicht unsere Wahrnehmung ein, macht blind für andere Meinungen und dann endet alles „Soziale“.

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