INDECT – kleine Schwestern und große Brüder

INDECT ist ein Forschungsprogramm, dass durch das 7. Forschungsrahmenprogramm mit EU-Geldern gefördert wird.
Für Samstag den 28.07.2012 rufen zahlreiche lokalen Bündnisse zu Demonstrationen und kreativen Aktionen gegen das EU-Forschungsprojekt INDECT auf. Ich kann jedem nur raten, sich an den Protesten zu beteiligen. Denn es geht um nicht weniger als die zukünftige Ausrichtung der Sicherheitsforschung. Denn INDECT hat viele kleine Schwestern und große Brüder.

Viel Geld und Big Player

INDECT nähert sich seinem wohlverdienten Ende. Aber wie das so ist und auch bei ACTA abzusehen war: ungebetene Gäste kommen gerne in anderer Gestalt wieder und wieder und wieder. Ab 2014 wird ein neues Forschungsrahmenprogramm mit einem Gesamtvolumen von 87 Mrd. Euro und einer Laufzeit von sieben Jahren gelten – und in der ersten Säule gibt es auch wieder einen Bereich für Sicherheitsforschung.
Bis zum 16.September können Wissenschaftler, Bürgerrechtsorganisationen, Vereine und Bürger an einer öffentlichen Konsultation der EU-Kommission zum neuen Forschungsrahmenprogramm Horizon2020 teilnehmen. Hierzu gibt es einen Fragebogen.

Es geht um viel Geld – und um Grundrechte. Im bald nun auslaufenden EU-Forschungsrahmenprogramm FP7-Security werden bis 2014 insgesamt 1.4 Mrd. Euro für „Sicherheitsforschung“ ausgegeben. Alexander Sander, Netzaktivist bei NoPNR schrieb bei netzpoltik.org hierzu: „Damit werden umstrittene Projekte wie INDECT finanziert und sozialwissenschaftliche Projekte, die sich zum Beispiel mit den Auswirkungen der Sicherheitstechnologien auf unsere Gesellschaft beschäftigen, kommen deutlich zu kurz.“
In der jetzt anlaufenden letzten Förderrunde  im FP7-Security-Programm vor dem Start des neuen Gesamtprogramms werden keine Projekte im Bereich Überwachung, Intelligente Grenzüberwachung und Technologien zur Bekämpfung von „Terrorismus“ mehr gefördert. Es ist wichtig auch im Hinblick auf das neue Forschungspaket der EU klar zu machen, dass Forschung sich an gesetzliche Rahmenbedingungen halten muss.

Die „Sichere Gesellschaft“ und die Freiheit

Die EU-Kommission hat sich unter dem Motto „Sichere Gesellschaft – Schutz der Freiheit uns Sicherheit Europas und seiner Bürger“ für einen eigenen Bereich Sicherheitsforschung im neuen Förderprogramm ausgesprochen. In der Argumentation wird von einem angeblich wachsenden Gefühl der „Unsicherheit“ von Seiten der Bevölkerung gesprochen und Bezug auf den 11. September 2001 und die Attentate in New York genommen. Bei Computer-Kriminalität wird von Schäden in Milliardenhöhe gesprochen – Jedoch ohne genau zu belegen, woher die Zahlen kommen. Dabei ist es allgemeinhin bekannt, dass viele der Zahlen durch Eigeninteresse von Akteuren geprägt sind. Schließlich soll die „Konkurrenzfähigkeit“ von Sicherheitsunternehmen- und Diensten ganz nebenbei gefördert werden. Denn der Markt für Überwachung ist längst ein globaler Garant für Bestseller geworden – nicht zuletzt aufgrund der Ereignisse im Rahmen des Arabischen Frühlings. Das gibt die EU-Kommission auch bereitwillig selbst zu Protokoll:

„Darüber hinaus ist Sicherheit auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Der Sicherheitsmarkt beläuft sich weltweit auf rund 100 Mrd. Euro im Jahr; davon entfallen 25 bis 30 % auf Europa. Zudem handelt es sich um einen Markt, der ungeachtet der gegenwärtigen Wirtschaftskrise rasch wächst. Angesichts der möglichen Folgen einiger Bedrohungen für Dienste, Netze oder Unternehmen ist der Einsatz angemessener Sicherheitslösungen für die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie inzwischen unabdingbar.“

Was würde PIA zu INDECT sagen?

Im laufenden Forschungsrahmenprogramm gibt es bisher sehr wenig Projekte, die sich im Schwerpunkt mit der Frage des Datenschutzes auseinandersetzen. Bei INDECT wurde erst nach Protesten von Aktivisten und Bürgern ein „Ethikrat“ eingeführt. Einer der Forscher, die in Krakau im Projekt INDECT arbeitet, schickte mir über Twitter Fotos der Datenschutzschulung aus Krakau als „Beleg“ dafür, wie sehr den Mitarbeitern daran gelegen ist, mit dem schlechten Ruf von INDECT aufzuräumen. Doch der Ethikrat von INDECT ist allein schon von seiner Zusammensetzung her wenig geeignet, um sich ethischer Fragen unvoreingenommen annehmen zu können. Denn unter den acht Mitgliedern sind auch Mitarbeiter der Polizei und Vertreter der Sicherheitsindustrie.

Insbesondere stellt sich die Frage, warum nicht im Vorfeld der Förderung konkreter Umsetzungen von Technologien bereits Raum für Diskussionen über mögliche Folgen für Grundrechte gegeben wird. Am Privacy Impact Assesment (PIA) von „smarten“ Überwachungstechnologien wird gerne gespart. Und auch rechtlich bleiben viele Fragen offen. Denn Projekte wie INDECT dürften nach derzeitiger Rechtslage in Deutschland gar nicht zum Einsatz kommen. Nun kann man natürlich die Frage stellen, warum mit Steuergeldern in Millionenhöhe an Projekten geforscht wird, die offensichtlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Die Antwort auf diese Frage liegt in der Struktur des institutionellen Aufbaus verborgen. Die Beratungsgremien sind gespickt mit Vertretern von Polizei, Industrie und Sicherheitsforschung. Eine systematische Prüfung auf Grundrechtsfragen von Projekten findet weder vorab noch währenddessen wirklich statt. Nicht selten dienen IT-gestützte Projekte der Inneren Sicherheit als versteckte Konjunkturprogramme für Unternehmen. Die Universitäten reden sich aus einer moralischen Verantwortung heraus, denn schließlich fehle das Geld und man müsse sich auf alle Projekte bewerben um Stellen sichern zu können.

Die Forscher sehen sich oft genug leider nicht in der persönlichen Verantwortung, ihre Forschung zu Hinterfragen. „Wir bieten Hilfestellungen für die Entscheidung der Politik, mehr nicht„, so das Statement eines Forschers auf die Frage, was derartige Forschung am Grundgesetz vorbei bezwecken solle. Doch was da ist, das wird auch verkauft werden. Und wenn nicht hier, dann eben auf anderen Märkten für die „Innere Sicherheit“. Nicht umsonst handelt es sich bei den meisten Projekten um Public-Private-Partnerships.

Smart Surveillance: „Reden wir wirklich über etwas neues?“

Bei einem Workshop von SAPIENT in Amsterdam zum Thema „Smart Surveillance“ hat einer der Teilnehmer einen sehr treffende Frage gestellt: „Reden wir hier wirklich über etwas neues?“ Inwiefern unterscheidet sich das was hier entwickelt wird von dem analogen Überwachungssystem vergangener und bestehender Regime? „Repressive Staaten hatten schon immer Drohnen.“, sagte er weiter und schaute in eine ungläubige Runde von Augenpaaren. Er erklärte, dass er damit  Denuziationsprogramme meinte, die Bürger dazu bewegen sollten, gegen Freunde und Familie auszusagen und Agitation gegen die Machthaber zu melden. „In jeder Familie gab es eine Drohne.“ – betretenes Schweigen.

INDECT und seine kleinen und großen Brüder und Schwestern sind die Folgen einer Politik der Inneren Sicherheit, die Prävention zunehmend als Aufgabe der Polizei und Sicherheitsdienste betrachtet. Wenn von „präventiver Sicherheitspolitik“ gesprochen wird, ist meist die Suche nach „anormalem“ Verhalten gemeint. Doch wird so Kriminalität verhindert? Und was bedeutet „anomales Verhalten“ eigentlich? Mein Kollege Florian Glatzner hat in seiner Magisterarbeit sehr deutlich dargelegt, dass Videoüberwachung in Innenstädten Kriminalität nicht beseitigt. Die Kriminalität verlagert sich lediglich dort hin, wo die städtischen Behörden und Unternehmen sich nicht mehr an ihr stören: In die weniger wohlhabenden Teile der Stadt. Warum also über Videoüberwachung reden, wenn wir auch über städtebauliche Maßnahmen sprechen könnten? Warum Gesinnungstests fordern, wenn man auch eine humane Migrationspolitik betreiben kann? Und wozu sollen „potentielle Gefährder“ in Datenbanken erfasst werden, wenn man stattdessen auch Sozialarbeiter und Schlichtungsstellen finanzieren könnte?

Nehmt Euch daher bitte die Zeit und besucht am Samstag eine Demo gegen INDECT in Eurer nähe.

Wir brauchen keine präventive Sicherheitspolitik. Was wir wirklich brauchen ist soziale Prävention durch Bildung, Teilhabe und Solidarität. Wir brauchen Forschung die sich an langfristigen Interessen der Bürger orientiert. Und nicht an denen der Sicherheitsindustrie.

(Zeichnung: Charlotte von Hirsch)



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