Mord ist kein „Beziehungsdrama“

Mord ist nicht gleich Mord. Das lernt man als Frau in dieser Gesellschaft recht schnell. Wenn Väter und Ehemänner zu Tätern werden, dann heißt das statt dessen besonders häufig „Familiendrama“.

Beispiel gefällig? Am 1.08. hieß es etwa bei „Der Westen“: „Familiendrama am Möhnesee: Deswegen stürzte sich der Vater (43) mit seiner Tochter (11) von der Sperrmauer.“ Weiter unten im Beitrag werden „erschütternde Hintergründe“ bekannt:

Die Frau hat die Beziehung beendet. Oh, wait – was ist daran erschütternd? Weiteres Beispiel gefällig? Am 8. August berichtete die Internetseite sol.de über ein „Familiendrama“. Ein Mann schießt auf seine Ex-Frau und zwei Kinder. Zwei Menschen sterben. Grund genug, im Beitrag ausführlich die Beweggründe des Täters zu erklären, die da wären:

Was aus Sicht der Frau das „Motiv“ gewesen sein könnte ist nicht bekannt. Wahrscheinlich ist die Opferperspektive an sich nicht so relevant. Rechtsextreme geben nach Taten ja auch gerne zu Protokoll, dass sie nur besorgte Bürger waren.

Doch nicht alles muss gleich als Familiendrama bezeichnet werden. Dafür gibt es schließlich noch den Begriff der „Tragödie“, was mehr nach Unfall klingt. Die „Westfalenpost“ berichtete am 6.8.18, über eine solche „Tragödie“:

Ich weiß nicht wie Ihr das sehr, aber für mich ist das keine „Tragödie“ sondern Mord.

Beziehungsdrama

Merke: Werden Frauen innerhalb einer Beziehung Opfer männlicher Gewalt, ist die Tat eventuell auch ein „Beziehungsdrama“. Die Hamburger Morgenpost hat den Begriff in einem Beitrag vom 18.06.2018 verwendet:

Ein weiteres „Beziehungsdrama“ wurde von nordbayern.de am 24.07.18 wie folgt beschrieben:

Ich weiß nicht wie es Euch geht, aber mein Verständnis von einem Beziehungsstreit ist nicht, dass das SEK anrücken muss. In den Stuttgarter Nachrichten war am 28. Juni 2018 nachzulesen:

Am 2. Juni 2018 berichtete „Der Westen“:

Ich lerne: Durch einen Mord endet nicht nur ein Menschenleben. Nein, es endet vor allem das „Beziehungsdrama“.

Am 2. Juli 2018 schrieb die WAZ:

Nicht: Mann rastet aus. Oder: Mann tötet Frau. Sondern: Frau wollte sich trennen. So als wäre die Trennung die Ursache – und nicht der Täter.

Die Frage nach dem „Warum“ wird übrigens ziemlich häufig auf sehr seltsame Art und Weise beantwortet. So etwa bei der Bild:

Mag sein, dass das nur „Kleinigkeiten“ sind. Aber in der Summe ist es eine große Sache. Es geht darum, wie wir mit der Ermordung von Frauen im Kontext von Familien und Beziehungen umgehen. Frauen sind eigenständige Menschen. Sie sind Menschen. Worte wie „Beziehungsdrama“ oder „Familiendrama“ sind einfach fehl am Platz wenn ein Mensch umgebracht worden ist. Punkt.

Eifersuchtsdrama

Besonders häufig titeln Zeitungen auch mit „Eifersuchtsdrama“. Der Kölner Stadtanzeiger berichtete etwa am 6.6.2018 über einen solchen Fall.

Wichtig ist hierbei die Erwähnung, dass nicht etwa der Täter, sonders das Paar (also auch die Frau) als unauffällig galt:

Am 16. Mai 2018 berichtete der General Anzeiger Bonn über ein weiteres „Eifersuchtsdrama“ (Messerangriff – was soll auch sonst gemeint sein) in Niederdollendorf:

WTF? Was genau soll uns der Hinweis sagen, dass die Frau angeblich die Partner gewechselt hat? Selbst schuld oder was? Bin ich eigentlich die einzige, die solche Statements unangebracht findet?

Fazit

Laut der polizeilichen Kriminalstatistik wurden 2016 149 Frauen von (Ex-)Partnern oder (Ex-)Ehemännern ermordet. 208 Frauen überlebten einen Mordanschlag. Das bedeutet: In Deutschland wird statistisch betrachtet täglich eine Frau von ihrem (Ex-)Partner angegriffen. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.

Jeder Mord ist schrecklich. Jeder Mord ist einer zu viel. Eines stimmt mich jedoch nachdenklich: Einzelne Morde werden gerne ausgiebig auf Titelseiten diskutiert. Zu der Häufung von Morden an Frauen im Beziehungs- oder Familienkontext gibt es jedoch keine Talk-Schwerpunkte, Massendemos oder Sondersitzungen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer ist vermutlich: Die Täter sind meist Deutsche und heißen z.B. Ralf P. (55). Die Waffe kam nicht vom IS sondern aus dem Baumarkt. Als Frau kann ich da nur den Kopf schütteln. Hoffnung auf Besserung habe ich leider nicht.


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14 Kommentare

  1. „Nazis geben nach Taten ja auch gerne zu Protokoll, dass sie nur besorgte Bürger sind.“

    Wie recht Du hast s. Chemnitz am 26./27.8.18. Die Tötung eines Deutsch-Kubaners wurde von der AfD, Pro Chemnitz, NPD … in Form eines „Trauermarsch“ dazu missbraucht, um in der Öffentlichkeit gegen AusländerInnen zu hetzen.

  2. Wie unsensibel und diskriminierend, einen selbsterklärten Autisten mangelnden Zugang zum Stilmittel der Ironie vorzuhalten!

    Ich denke, es ist an der Zeit darüber nachzudenken, zur Diskriminirungsvermeidung generell auf Ironie in veröffentlichten Texten zu verzichten.

  3. Die Behauptung, dass Drama/Tragödie und Mord sich gegenseitig ausschließen kann man nur aufstellen, wenn man nicht weiß, was eine Tragödie oder ein Drama ist.

    Dann sollte man andere aber nicht belehren.

    Eine Tragödie ist ein schicksalshafter Konflikt, der in einer Katastrophe endet lese ich, um mich zu vergewissern, dass ich nicht alleine dastehe, auf Wikipedia. Wieso sollte das auf die Fälle nicht zutreffen?

    Zu Drama schreibt der Duden „aufregendes, erschütterndes oder trauriges Geschehen“. Du regst Dich doch auf, oder? Bist Du erschüttert? Findest Du es traurig? Ich finde der Begriff beschreibt die Vorfälle angemessen.

    Im Drama sind Mord und Totschlag deswegen auch an der Tagesordnung.

    Aber ich bin sicher, diese Form des Sprachunterrichts wird uns noch oft und lange beglücken. Auch hier finden sich ja viele spontane Fans.

  4. Sehr guter, wichtiger Beitrag. Ich könnte jedesmal kotzen, wenn ich sowas lese. Vielen Dank für die deprimierende Auflistung.

  5. Leider krankt dieser Artikel an zwei gravierenden handwerklichen Fehlern:

    1. ist ein Tötungsdelikt nur dann ein Mord, wenn es von einem Strafgericht dazu erklärt und entsprechend abgeurteilt wurde. Kein seriöses Medium würde/sollte von einem Mord reden, bevor eine solche Einordnung vorgenommen wurde. Auch im polizeilichen Sprachgebrauch (bei Pressemeldungen z. B.) wird eine solche Einordnung vermieden und das Wort „Tötungsdelikt“ benutzt.
    2. sollte man, wenn man Frauen zu Opfern von journalistischer Phrasendrescherei erklärt, auch darstellen, dass mit Männern anders verfahren wird. Dieser Artikel suggeriert, es seien nur Frauen die Opfer von Tötungsdelikten im Bereich Ehe/Familie/Partnerschaft/Beziehung. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist aber – leider etwas undifferenziert – rund 1/4 Männer als Opfer von Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen (vollendet, ohne versuchte Taten) im Bereich Ehe/Familie/Partnerschaft aus. Das ist natürlich schwerer zu recherchieren, aber für das, was hier behauptet wird, unerlässlich.

    Weitere Unwuchten dieses Artikels heben bereits andere Kommentatoren aufgezeigt. Nichts dagegen, die Benennungsroutinen der Journaille mal kritisch abzuklopfen, doch dann bitte etwas beweiskräftiger.

  6. Der Begriff „Mord“ ist ein nüchterner und technischer, zudem auch ein juristischer Begriff. Die Mordkommission ermittelt, die findet einen Tatverdächtigen, sammelt Indizien und Beweise. Am Ende findet ein Gerichtsprozeß statt, der Mörder wird zu einer Straf verurteilt. Abgehakt, fertig.

    Vor allem aber ist „Mord“ ein einzelnes Ereignis, ein punktueller Zeitpunkt. Die Begriff „Drama“ und „Tragödie“ drücken dagegen einen längeren Verlauf aus.

    Und genau das drückt ja der Begriff „Beziehungs-Drama“ gleich in dem ersten Beispiel aus (auch wenn ich ungern die „Bild“ verteidige – aber der Begriff wird ja auch von anderen Pressemedien benutzt): Es fand nicht einfach nur punktuell ein einzelner Mord statt (wie etwa bei einem Raubüberfall), sondern der Mord einen größeren Hintergrund:

    Ein Mann glaubt, daß die Frau, mit der er eine Beziehung hat, ihm gehören würde, daß sie ihn nicht verlassen darf. Vermutlich hat er die Frau bereits während der Beziehung mit dieser Einstellung drangsaliert. Nun hat sie es endlich geschafft, sich von ihm zu trennen. Aus gekränkter Eitelkeit, aus verletztem Stolz, vielleicht schlicht aus Rache (kurzum: aus mittelalterlichen Rollenbildern) bringt er die Tochter seiner Ex-Partnerin um.

    Genau das sind die „Erschütternden Hintergründe“: Die Frau hatte es geschafft, sich von dem Mann zu trennen. Und doch ist sie damit nicht sicher vor ihm, sondern er tut ihr (bzw. ihrer Tochter) Gewalt an. Die Frau wähnt sich in Sicherheit, sie glaubt, daß es jetzt nur besser werden kann, und dann bringt der Mann ihre Tochter um. Das wird in der deutschen Sprache mit dem Begriff „Tragödie“ bezeichnet. Und ein erschütternder Hintergrund ist auch: Es gibt auch im 21. Jahrhundert noch Männer, die Frauen als Besitz ansehen, und die diesen Besitzanspruch mit einem Mord manifestieren wollen.

    Bei dem Satz „Wiebke musste sterben, weil ihr Stiefvater sie erwürgt hat“ erfährt man nichts darüber. Bei dem Satz „Musste Wiebke sterben, weil ihre Mutter sich trennte“ wird dagegen die gesellschaftliche Relevanz deutlich. Es wird klar, daß es um tradierte Rollenbilder geht, die in den Köpfen vieler Männer noch weiterleben.

    Wenn ich die Dimension dieses Problems aufzeigen will, dann muß ich die Gründe der Täter benennen. Die Sichtweise der Opfer bringt keine Erkenntnisse. Wenn da steht „XY musste sterben, weil YZ sie umgebracht hat“, dann hat das keinen Aussagewert. Wenn da aber steht „XY musste sterben, weil YZ eifersüchtig war“, dann zeigt es, aus welchen Nichtigkeiten Männer zu Mördern werden. Es zeigt, daß sich in der Gesellschaft noch vieles ändern muß.

    Aus einem ähnlichen Grund ist auch das Wort „Eifersuchtsdrama“ und die Erwähnung, daß der Paar im letzten Beispiel als unauffällig galt, relevant. Es geht nicht um eine einzelne Tat, um den einen Mord, sondern um einen längeren Zeitraum, vermutlich um ein regelrechtes Martyrium, das die Frau unter ihrem eifersüchtigen Mann erlebt hat – also genau das, was die deutsche Sprache mit dem Wort „Drama“ bezeichnet. Aber niemand hat etwas gemerkt, das Paar war nach außen total unauffällig.

    Das ist ja ein Muster, was bei Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden, durchaus häufig auftritt: Die Frau kaschiert die Taten ihres Mannes, sie fühlt sich mitschuldig, sie will sich nichts anmerken lassen. Und so wirkt dann ein Paar, in dem Gewalt ausgeübt wird, nach außen total harmonisch, zeigt bilderbuchmäßige Harmonie. Eine Berichtserstattung in der Form „Das Paar war nach außen total unauffällig, tatsächlich aber fand in der Beziehung ein Eifersuchtsdrama statt, das schließlich in einem Mord endete“ zeigt genau diese Situation auf.

  7. @Con:
    Nein, ein Mord kann per Definition keine „Tragödie“ sein. Das Wesensmerkmal der Tragödie ist ja, dass der Täter „schuldlos schuldig“ geworden ist, also gar keine Wahl mehr hatte so zu handeln, wie er es tat (vgl. „Ödipus“, „Antigone“ oder auch „Macbeth“). Das Wesensmerkmal von Mord ist hingegen ist der Vorsatz, also die Tatsache das der Täter sich bewusst für seine Tat entscheidet, obwohl er Handlungsalternativen sieht.
    Ob im Sinne des Gesetzes alle Tötungen als Morde zu werten sind, steht auf einem anderen Blatt, aber die Begriffe passen definitiv nicht zusammen.

  8. Hallo,

    der Satz den du kritisiert war ironisch gemeint.

  9. Ganz schön sexistisch alles auf Mann/Frau zu reduzieren und der Frau den Vorzug zu geben.

    (1) Kann eine Trennung nicht erschütternd sein? Oder darf sie das nicht, wenn eine Frau diese beendet?
    (2) Der Mann hat seine Frau und die beiden Kinder ermordet, weil er sich ungerecht behandelt fühlte. Dass die Frau von ihm geschieden war, ist eine Info wie das Alter des Mannes.

    „Was aus Sicht der Frau das „Motiv“ gewesen sein könnte ist nicht bekannt. Wahrscheinlich ist die Opferperspektive an sich nicht so relevant. Nazis geben nach Taten ja auch gerne zu Protokoll, dass sie nur besorgte Bürger sind.“
    Interessante Logik. Sie geben also dem Opfer eine Mitschuld für die Tat? Das Opfer hatte irgendwelche Motive, welche hinterfragenswert sind, was dann den Mord des Mannes rechtfertigt?
    Also in dem Deutschland, dass ich kenne, vermindert sich der Schrecken oder der Umfang der Tag nicht durch das, was das Opfer irgendwas gemacht hat.

    Überhaupt, was soll diese Einseitigkeit? Eine Tragödie ist laut Duden ein tragischer oder schrecklicher Vorfall. Leben wir inzwischen in der Welt der Schwarz-Weißen? Darf ein Mord keine Tragödie sein und kann im Umkehrschluss eine Tragödie damit alles sein, aber kein Mord? Und weiten Sie das auch auf alles andere aus? Ist ein Terroranschlag alles mögliche, aber kein „schrecklicher Vorfall“?

    Erwarten Sie jetzt, dass alle Menschen rein rational und nüchtern ihre Umgebung beschreiben (mich als Autist würde das freuen) oder beziehen Sie das nur auf die Vorfälle zwischen Mann und Frau?
    Wenn ein männlicher Freund den anderen männlichen Freund umbringt, ist das auch nur Mord oder doch ebenso ein schrecklicher Vorfall?
    Und wenn es kein schrecklicher Vorfall ist, wäre Mord akzeptabel, wenn dieser nicht strafbar wäre?
    Eine Frage kommt zur Nächsten, aber ich wiederhole einfach noch mal was ich am Anfang gesagt habe: So wie Sie argumentieren, argumentieren Sie sexistisch und einseitig-engstirnig.

    Man kann die gleiche Sache aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und beschreiben. Die Sprache und die Vielzahl der Worte und die noch höherere Zahl der Bedeutungen gibt das her. Darauf zu bestehen, dass eine Sache jetzt nur noch mit bestimmen Begriffen umschrieben werden darf, ist das Gegenteil dessen,was doch angeblich alle verteidigen wollen.

  10. Ich stimme 100 Prozent zu, will aber noch einen Aspekt hinzufügen: „Familiendramen“ stoßen in der Regel deutschen, weißen Männern zu. Migrantische Männer begehen „Ehrenmorde“.

  11. Ich stimme Ihrer Kritik an der Verwendung des Begriffs „Drama“ voll zu, möchte aber hierzu noch einen Aspekt ergänzen. Im Zusammenhang mit Gewalttaten von einem Drama zu sprechen ist schon allein deshalb unsinnig, weil ein Drama sowohl Tragödie als auch Komödie sein kann. Dramatische Entwicklungen können grundsätzlich auch ein gutes Ende haben. Mord ist also auch deshalb kein Beziehungsdrama, weil man hier nie von einer Beziehungskomödie sprechen kann. Viele Medien verwenden daher Begriffe wie Beziehungs- oder Familientragödie, was es aus meiner Sicht aber auch nicht besser macht. Das ist letztlich verhüllende Sprache, die die Gewalttat nicht klar benennt.

  12. Wieso bemerke ich solche Dinge eigentlich immer erst, wenn mich jemand mit der Nase drauf stößt? Naja, immerhin besser als nie.

    Übrigens: Du lädst einige der Bilder über http, dadurch werden die (je nach Browser-Paranoia-Level) eventuell nicht angezeigt.

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