Der Alte Mann und der Krieg gegen den Terror

Heute vor 13 Jahren stürzten die Twin-Tower des World Trade Centers in sich zusammen. Wie viele andere erinnere ich mich sehr genau an diesen Tag. Ich saß zu hause. In einer gefühlten Endlosschleife sah ich an diesem Tag hunderte Flugzeuge, die beim Aufprall gegen den Wolkenkratzer explodieren. In Nahaufnahme zeigten sie zwischendurch immer wieder Menschen, die aus dem Fenster sprangen. Wenige Pixel auf den grobkörnigen Bildern. Sie fielen endlos. Und dann begann die Schleife wieder von vorne. Am 11. September 2001 war ich 14. Und genauso wie meine Eltern Kinder des kalten Krieges waren, bin ich als Kind des Krieges gegen den Terror aufgewachsen.

Und ich muss sagen, dieser Krieg wurde verloren. Nicht etwa im Nahen Osten. Sondern genau hier, beim einzigen Fotografen in meinem Dorf. Bei dem ich gebeten werde nicht zu lächeln und geradeaus in die Kamera zu schauen. Damit mein Kopf ins biometrische Raster passt. Hier im Bürgeramt, wo ich gefragt werde, ob ich nicht auch gleich die Fingerabdrücke mit abgeben möchte. Mit einer Selbstverständlichkeit, mit der man nach der Postleitzahl fragt. Sie blickt nicht einmal auf. Draußen scheint die Sonne. Nebenan am Tisch sitzt ein älterer Herr und lässt sich bereits seine Fingerkuppen vermessen. Die Software hat Probleme, die Abdrücke seiner Hände zu erkennen. Sie sind runzelig von feinen Linien durchzogen. Von einem ganzen Leben gezeichnet. Als er fertig ist nimmt er seinen Gehstock und humpelt langsam zu Tür.

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Und wenn ich so auf meinen neuen elektronischen Personalausweis starre, auf dem ich stumpf und müde ausdruckslos geradeaus in die Kamera blicke. Damit auch ja alle meine biometrischen Facetten erfasst werden, um mich bei Bedarf aus einem Datenpool fischen zu können. Wenn ich das so vor mir sehe, dann legt sich eine tiefe Sorge über mich. Das Bild vor mir ähnelt den Bildern wie sie früher von Verbrechern gemacht wurden. Dieses Bild landet in einer staatlichen Datenbank. Es ist nur recht und billig zu fragen, ob das das Bild ist, das sich der Staat von seinen Bürgern heutzutage machen will.

Manchmal lohnt es sich einen Schritt zurück zu gehen, um das ganze Ausmaß zu sehen. Einen Moment inne zu halten. Und sich zu fragen, was für ein Menschenbild dahinter steht, wenn ein alter Mann, der kaum mehr gehen kann, von seinem Staat aufgefordert wird seine Fingerabdrücke abzugeben. Und zu fragen, ob das die Freiheit ist, die es zu verteidigen galt.

Bild: Toni Verdú Carbó cc-by-nc-nd 2.0

 


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7 Kommentare

  1. Ein Skandal: 2000 ermordete Banker

    Kein Skandal: Jedes Jahr sterben etwa 8,8 Millionen Menschen an Hunger, was einem Todesfall alle 3 Sekunden entspricht (Stand 2007)

    Was sagt uns das über dieses Herrschaftssystem?

  2. Dieser Beitrag trifft den Punkt. Und er berührt mich. Viel mehr gibt es dazu eigentlich kaum mehr zu sagen, weil in Ihrer Schilderung des alten Mannes und seiner Fingerabdrücke und der biometrisch erfassten Gesichter alles enthalten ist – die Absurdität und die Gefühl- und Respektlosigkeit, mit der alle Menschen gleichermaßen zu potenziellen Gefährdern des trügerischen „Supergrundrechts“ Sicherheit erklärt werden. Als könnte und wollte irgendeiner dieser Maßnahmen irgendwen vor irgendwas schützen. Wer soll in einem solchen Käfig aus Furcht und paranoidem Misstrauen noch atmen?

  3. Stimmungsvoll und treffend.

    Natürlich, wie Tarik schon schrieb, waren 9/11 und ein fehlgeleiteter „Krieg gegen den Terror“ nur Vorwände; die antiliberale Agenda bestand vorher und war bereits seit den ersten Reagantagen, wenn nicht seit Nixon, ein anschwellendes Geheul.

  4. Der „Krieg gegen den Terror“ war nur Mittel zum Zweck und ein gern gesehener Anlass, die laestigen Buergerrechte zu beseitigen. Ueberwachung ist doch ein wunderbares Mittel zur gleichzeitigen Kontrolle UND Einschuechterung einer Bevoelkerung. So ueberlegt es sich jeder zwei mal, ob er aus der Reihe tanzt und falls er es wirklich tut, dann kriegt man es sofort mit und kann darauf reagieren. So hat man als Herrscher alles im Griff und die Untertanen bleiben weitesgehend ruhig.

  5. Genau wie der kalte Krieg war das nie ein Krieg der Bürger. Das ist ein Krieg der Cheneys und Fischers und Von der Leyens dieser Welt.

    Ich sehe nicht, dass wir in absehbarer Zukunft unsere Freiheit und unser Stimmrecht zurück bekommen.

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