Das Einkaufsparadies Einwohnermeldeamt

Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG) und seine Folgen
Mit der Föderalismusreform von 2006 hat sich die Gesetzgebungskompetenz im Meldewesen von den Ländern zum Bund verlagert. Die Bundesregierung hat einer Neuregelung des Meldewesens zugestimmt, die deutlich zu Lasten von Verbrauchern und Bürgern geht. Während die Bundesregierung mit einer Vereinheitlichung der bisherigen Meldegesetze auf Landesebene wirbt und Effizienzgewinne durch elektronische Schnittstellen anpreist, befürchten Datenschützer den Ausbau einer der beliebtesten Adressdatenbanken überhaupt. Besonders problematisch ist die Tatsache, dass vielen Bürgern nicht einmal bewusst ist, dass ihre Daten bei Einwohnermeldeämtern einfach so eingekauft werden können. Den Behörden traut man Adresshandel nicht zu – zu unrecht.

Die traurige Geschichte beginnt mit einem Gesetzesentwurf vom November 2011

Es war einmal… der Gesetzesentwurf vom November 2011. Bedenklich ist vor allem diese Formulierung: „Ein weiterer Schwerpunkt der mit diesem Gesetz angestrebten Fortentwicklung des Meldewesens knüpft an die Funktion des Meldewesens als zentraler Dienstleister für die Bereitstellung von Daten vor allem für den öffentlichen Bereich an.“ […] „Entlastungen der Unternehmen ergeben sich insbesondere aus der Möglichkeit, elektronisch Anträge auf Melderegisterauskünfte zu stellen, sowie aus dem unter Buchstabe F genannten Abbau von Bürokratiekosten.“ Auch der nicht-öffentliche Bereich wird als legitimer Nutzer der Daten verstanden, für den es den Zugang zu optimieren gilt. Die Regierungskoalition ist sich somit in der grundsätzlichen Frage, ob es Aufgabe des Staates ist, Adresshandel zu fördern und selbst zu betreiben anscheinend einig und beantworte diese Frage mit einem klaren „Ja“.

 

Von einem Staat der in erster Linie die Interessen der Bürger vertreten sollte und nicht die des Adresshandels finde ich es erschreckend, welchen Raum hier den Kosten der Unternehmen eingeräumt wird, die Daten von Meldeämtern kaufen. Hier muss man bedenken, dass es nicht um die Unternehmen geht, sondern auch darum, wie viel Geld durch den Verkauf der Bürgerdaten von Behörden erwirtschaftet wird. Die Behörden betätigen sich in diesem Fall als Anbieter, die die Ware Bürgerdaten zum Verkauf anbieten. Offiziell dürfen die Behörden nicht als Adresshändler in Erscheinung treten, nehmen aber durchaus eine „Verwaltungsgebühr“ pro Adressdatensatz die meist zwischen 5 und 15 Euro liegt. Einzelabfragen von 1000 Datensätzen auf einmal sind keine Seltenheit. Die skurrille Situation des Datenaustausches sorgt dafür, dass die NPD Daten von Neuwählern einkaufen darf und Heranwachsende Rekrutierungswerbung von der Bundeswehr zugestellt bekommen. Bei nicht allen Bürgern stößt dies auf Gegenliebe. Und Datenschützern treibt so etwas Tränen ind ie Augen.

Über Nacht von Opt-In zu Opt-Out

Ich habe mir nun die Mühe gemacht die Änderungen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und finde die Entwicklung zwischen Erstem Entwurf und dem Beschluss der letzten Woche sehr beachtlich. Der Knackpunkt, an dem sich Datenschützer reiben ist nämlich die im ursprünglichen Entwurf enthaltene Einwilligungslösung, die sich im Neuentwurf der Koalition zum Gegenteil, nämlich einer Widerspruchslösung zurückentwickelt hat. Über Nacht wurde aus dem Opt-In ein Opt-Out-Modell – Eine klare Absage an datenschutzfreundliche Voreinstellungen, die Datenschützer seit längerem fordern

Zudem ist in dem neuen Entwurf enthalten, dass sich Bürger wieder eine Bestätigung vom Vermieter beim Amt vorlegen müssen, bei ein- oder Auszug. Laut Koalition soll dies Scheinanmeldungen von Eltern in Bezirken ihrer Wunschschule eindämmen. Die Frage der Verhältnismäßigkeit stellt sich die Koalition offenbar nicht. Auch die Meldepflicht bei Hotels bleibt nach wie vor bestehen, obwohl andere EU-Mitgliedsstaaten sehr gut ohne die Protokollierung von Hotelbesuchen fahren. Es ist sehr fraglich, ob kriminelle ihre tatsächliche Identität in Hotels angeben, wage ich in den Raum zu werfen – der einfache Urlaubsreisende und Geschäftsreisende ist jedoch definitiv betroffen von diesem Generalverdacht gegenüber Hotelgästen.

Sowohl der Rechtsausschuss, der Innenausschuss als auch der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfahl mit Stimmen der Regierungskoalition die Annahme des Gesetzesentwurfs. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens wurde mit einer Mehrheit von CDU/CSU und FDP mehrheitlich im Bundestag angenommen. Bis zum Inkrafttreten muss das Gesetz noch den Bundesrat passieren.

„Nein“ sagen

Bereits bisher gab es nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit sich gegen eine einfache Melderegisterauskunft zu wehren, nur gegen eine erweiterte Auskunft und die Online-Auskunft konnte Widerspruch eingelegt werden. Eine einfache Auskunft war zudem nur dann nicht zulässig, wenn sie offensichtlich dem Zwecke der Direktwerbung diente. Es sein denn man konnte glaubhaft darlegen, dass besondere Gefahr gegen Leib und Leben oder eine schwerwiegende Erkrankung besteht. Selbst dann galt die Sperre nur befristet für ein Jahr. Umfassende Auskunft gibt das Einwohnermeldeamt an jeden der ein „berechtigtes Interesse“ geltend machen kann.

Um seine Daten gegen eine Nutzung und Freigabe zum Sperren muss der Bürger selbst aktiv werden und ein entsprechendes Formular ausfüllen und bei seinem Meldeamt einschicken. Die Tatsache, dass der Bürger weder über die Nutzung seiner Daten noch über die jeweilige Weitergabe informiert wird, ist ein Skandal. Das Geld, welches für die Weitergabe der Daten gesammelt wird, geht an die Adresshändler: Die Kommunen.

Die Datenhändler im Schatten der Einwohnermeldeämter

Adresshändler werben sogar mit der besonders guten Vernetzung mit Einwohnermeldeämtern: „Das Unternehmen fungiert als Schnittstelle zu den über 5.000 Einwohnermeldeämtern und bietet eine automatisierte und damit kostengünstige Recherche. Außerdem hat es im Bereich der elektronischen Anfrage ein Know-how entwickelt, mit dem es eine besonders hohe Trefferquote erzielt.“

Um seine Daten zu sperren, muss man sich an dem bisherigen Gesetz orientieren und somit auf das jeweilige Landesmeldegesetz Bezug nehmen. Da mir eine alleinige Sperrung meiner Daten noch nicht genügt, empfehle ich zusätzlich ein Auskunftsersuchen an die Meldebehörde zu schicken. Hiermit fordert man die Meldebehörde auf, eine Liste der Organisationen, Unternehmen oder Personen zu schicken, an welche die Daten weitergegeben wurden. An diese Unternehmen und Parteien werde ich anschließend einen Antrag auf Löschung der Daten schicken, falls denn da eine Antwort eintrudeln sollte.

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Sowohl der Widerspruch als auch das Auskunftsrecht sind im jeweiligen Meldegesetz der Länder geregelt. Das Auskunftsersuchen an Unternehmen und der Sperrantrag sind im Bundesdatenschutzgesetz geregelt.

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Im neuen Gesetz ist geregelt, dass das Widerspruchsrecht (das wie wir gemerkt haben ja schon immer eingeschränkt war), noch weiter eingeschränkt wird. Wenn bereits vorhandene Datenbruchstücke lediglich „aktualisiert“ werden, gilt das nämlich nicht mehr. Doch kein Grund, den Leuten nicht trotzdem mit Auskunftsersuchen und Sperranträgen und Löschversuchen auf den Leib zu rücken und hierdurch den mageren Gewinn der durch meine Daten erzielt wurde zu schmählern.

Wie so eine „Aktualisierung“ aussieht, erklären findige Adresshändler auf ihren Seiten unverblümt: „Adress Research verfügt über verschiedene Datenquellen, in denen es schnell und effizient nach den Adressen suchen kann. Zu diesen Datenquellen gehören zum Beispiel POSTADRESS MOVE (die Umzugsdatenbank) und POSTADRESS CLEAN (die Verstorbenendatei) der Deutschen Post Adress. Wenn nach der Vorrecherche in den verschiedenen Datenquellen kein aktuelles Ergebnis vorliegt, erfolgt eine Adressermittlung beim zuständigen Einwohnermeldeamt.“

Auch das hier ist besonders dreist: „Einfach eine Anfrage an das Einwohnermeldeamt schicken. Sie erhalten dann umgehend (in der Regel je nach Einwohnermeldeamt zwischen 1-10 Werktagen) die neue gemeldete Adresse direkt vom Einwohnermeldeamt zurück. Die gesuchte Person erfährt nichts von Ihrer Anfrage.[…] (Fündig auch bei Internet-Auskunftssperre)“

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  • Löschung und Sperrung der Daten in Unternehmen ist in §35 BDSG geregelt.
  • Auskunftsersuchen für Unternehmen sind in §34 BDSG geregelt.

Die Meldegesetze der einzelnen Länder sind laut Wikipedia hier zu finden:

 

 

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2 Kommentare

  1. Richtig ist, dass manche f6ffentliche Stellen das Vergaberecht durch uitcrsnuhdige Auftragsvergaben an durch Freunderlwirtschaft bevorzugte Unternehmen umgehen, sei es mittels unzule4ssigem Spliting oder durch freihe4ndige Vergabe des Gesamtauftrages. Das geschieht allerdings unabhe4ngig von den Schwellenwerten ob ein Schwellenwert jetzt 40.000 Euro, 50.000 Euro oder 100.000 Euro ist, spielt hier keine Rollel. Da spielen andere Faktoren eine Rolle. Faktum ist aber auch, dass die Kosten eines Vergabeverfahrens oftmals bis zu einem Drittel des gesamten Aufragswertes ausmachen, weil gerade kleinere Auftraggeber schlichtweg nicht in der Lage sind, im Eigenbereich das ganze Knowhow das es benf6tigt, eine Leistungsbeschreibung so zu erstellen, dass sie einerseits einem zweckme4dfigen Beschaffungsvorgang entspricht und andererseits auch den Grundprinzipien des Vergaberechts (auf denen se4mtliche Regeln nationaler Vergabevorschriften fudfen) gerecht werden und einigermadfen (Die perfekte Ausschreibung gibt es nicht) sicher ist. Gerade in Zeiten hoher Verschuldung und leerer Staatskassen braucht die f6ffentliche Hand ein Instrument, dass es ihr ermf6glicht, ohne grodfen Aufwand zweckorientierte Beschaffungen zu te4tigen. Die Verle4ngerung der Schwellenwerteverordnung ist ein Mittel, genau das zu ermf6glichen. Es geht hier nicht vordergrfcndig um nationalf6konomische Erfordernisse. Die f6ffentliche Hand kann auf diese Weise flexibler agieren und einfacher in die Zukunft investieren. Man darf auch nie vergessen, dass Beschaffungen der f6ffentlichen Hand keinem Selbstzweck dienen, sondern schwerpunktme4dfig zur Besorgung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse dienen. Insofern auch ein Vorteil ffcr die Bfcrger. Und die Grundprinzipien bleiben ja auch bei der Direktvergabe. Erst unle4ngst hat die Kommission gegen eine Gemeinde ein Verfahren eingeleitet, die bei einem Auftrag in der Hf6he von 8.000 Euro diese Prinzipien audfer Acht gelassen hat. Also, ganz draudfen aus dem Vergaberecht ist man sowieso nicht, es bleibt nur einfacher in Zeiten, in denen flexible Beschaffung einfach nf6tig ist. Wer das schlimm findet, mf6ge jetzt sprechen oder ffcr immer schweigen!

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