„Institutionen sind wie Festungen. Sie müssen klug angelegt und richtig bemannt sein.“
Diese Worte stammen von niemand anderem als Karl Popper. Und weil Karl Popper recht hat, ist es wichtig, dass darüber gestritten wird, ob ein „Verfassungsschützer“ wie Maaßen tatsächlich die Verfassung schützt (egal in welcher Position). Institutionen müssen aber nicht nur richtig bemannt, sondern auch klug angelegt sein. Um das Risiko von Machtmissbrauch zu minimieren. Das gilt nicht nur für das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Viele Menschen haben so ihre Zweifel, ob unsere Institutionen derzeit wirklich „klug angelegt“ sind. Auch im Hinblick auf eine wenig verlockende Zukunft. In den letzten Monaten hat sich die Debatte um Vertrauen in demokratische Institutionen dramatisch verändert – bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Vor allem in Bezug auf Bürgerrechtseinschränkungen und Datensammlungen im Namen der „Inneren Sicherheit“. Und dafür gibt es gute Gründe:
1. Institutionen ändern sich.
„Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“, sagte die Kanzlerin nach den Snowden-Enthüllungen. Aber sind unsere Regierungen das heute noch? Freunde? So viel steht fest: Hätte Trump in Punkto NSA ähnlich wie Obama agiert, wären in den USA Hunderttausende auf die Straße gegangen. So mancher US-Demokrat, der einst die NSA-Datensammlung unter Obama verteidigt hat, bereut das heute. Leider nur ist es ungleich schwieriger, Überwachungsbefugnisse zurückzunehmen, als sie einzuführen. Und zwar vor allem dann, wenn die Sorge vor Missbrauch berechtigterweise am größten ist. Autoritäre Populisten setzen sich vielerorts ins gemachte Nest. Bisher wurde Kritik am Abbau von Freiheitsrechten oder mangelnder parlamentarischer Kontrolle von Geheimdiensten gerne damit abgetan, die Bürger sollten doch der Regierung vertrauen. Doch das Vertrauen in stabile Verhältnisse bröckelt. Und zwar vollkommen zu recht. Darauf vertrauen zu müssen, dass Befugnisse nicht missbraucht werden, ersetzt kein einklagbares Recht. Wer das glaubt, ist naiv.
2. Der Kontext ändert sich.
In vielen Bundesländern sollen in diesen Tagen die Überwachungsbefugnisse der Polizei ausgeweitet werden. Einer der Hauptkritikpunkte ist, dass ursprünglich für die Terrorbekämpfung gedachten Befugnisse nun auf „normale Kriminalität“ ausgeweitet werden. Die Gesetze sind gespickt mit Begriffen, die erschreckend großen Interpretationsspielraum lassen. Was eine „drohende“ oder „dringende“ Gefahr ausmacht, und wer ein „Gefährder“ ist, ist unzureichend definiert. Wer als „Gefährder“ gesehen wird, liegt im Auge des Betrachters. Hinzu kommt: Anstelle von Beweisen treten immer häufiger Wahrscheinlichkeiten über angeblich zukünftiges Verhalten. In Niedersachsen will man die „Präventivhaft“ nun auf 2,5 Monate ausweiten. In Kombination mit dem in 1. genannten Punkt wirken solche Gesetze langfristig toxisch. Ich für meinen Teil weiß leider nur zu gut, wer aus Sicht der AfD ein Gefährder ist. Das sind Menschen, wie Du und ich.
3. Die Wirkung ändert sich.
Vor 10 Jahren hat niemand geahnt, dass heute ein Algorithmus anhand von 300 Facebook-Likes genauere Vorhersagen über unser Verhalten treffen kann, als der Lebensgefährte. Tatsächlich ist die Wissenschaft heute viel weiter. Ich frage mich, was für Vorhersagen in 10 Jahren anhand von Vorratsdaten möglich werden. Oder ob ein Staatstrojaner in 20 Jahren sich dank meiner elektronischen Sehhilfe in mein Blickfeld hacken können wird. Mehr Datensammlungen bedeuten zudem neue Möglichkeiten für Verkettungen von Informationen aus unterschiedlichen Quellen. Die Überwachungsgesamtrechnung ist mehr als die Summe ihrer Teile. Bisher hat man diesem Effekt kaum Beachtung geschenkt. Das wird sich in Kombination mit 1. und 2. bitter rächen.
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Die neue „Innere Unsicherheit“
Bei der inneren Sicherheit ging es bisher stets nur um die Frage der Bedrohungen von Außen – durch Terror, andere Staaten, usw.. Dabei ist ein ganz anderes Szenario vollkommen ausgeblendet worden: Was, wenn die Verfassungsfeinde eines Tages in den Institutionen sitzen? Als Staatssekretär oder gar Behördenchef? Ich frage mich mittlerweile immer, was ein neues Überwachungsgesetz oder eine neue Datensammlung bei Regierungsbeteiligung der AfD bedeuten würde. Die AfD tut das sicherlich auch. Natürlich kann, wer die Macht hat, auch Gesetze ändern. Doch das allein darf kein Grund sein, autoritären Charakteren einen Werkzeugkoffer frei Haus liefern zu müssen.
Ob Maaßen im Amt bleibt oder nicht – viele Probleme, bleiben. Die eigentlich wichtigen Fragen werden ja gar nicht diskutiert: Welche Kontrollen müssen wir in unseren Institutionen heute installieren, um das Missbrauchspotential für morgen möglichst gering zu halten? Wie stellen wir heute sicher, dass unter vollkommen anderen Annahmen eingeführte Maßnahmen morgen rechtzeitig gestoppt werden? Und auf welche Datensammlungen, Institutionen und Befugnisse sollten wir aus genau diesen Gründen lieber gleich verzichten? Und vor allem: Ist es wirlich weise und der Inneren Sicherheit dienlich, Bürgerrechte bis zur Unkenntlichkeit zu schleifen?
Das Worst-Case-Szenario
Bei Kritik gegen den Abbau von Freiheitsrechten geht es nicht um die Frage, ob wir unseren Institutionen, wie sie heute sind, vertrauen. Es geht darum, was sich in 10 Jahren damit anstellen lässt. Im Worst-Case-Szenario. Wer das ausblendet, nimmt hin, einen schlüsselfertigen Überwachungsstaat zu bauen. Ohne zu wissen, wer den Schlüssel eines Tages in der Hand halten wird.
Mehr Sicherheit muss gerade in Zeiten wachsender rechsextremer Bewegungen bedeuten: Starke Bürgerrechte. Das ist die einzige Festung, auf die wir vertrauen können, wenn alles andere richtig im Arsch ist. Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind die beste Versicherung gegen eine ungewisse Zukunft. In diesem Geiste wurde das Grundgesetz im Übrigen auch verfasst: Aus der Erfahrung eines ganz realen Worst-Case-Szenarios.
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Al
Toll, und dankeschön!
Du hast die Probleme auf den Punkt gebracht und genau das in Worte gefasst, was wir alle wußten, aber uns nie getraut haben zu denken: Polizeistaatliche Befugnisse dürfen auch in der besten Demokratie mit den der gerechtesten Regierung und der tollsten Kanzlerin nicht eingeführt werden, weil niemand weiß wie lange die tollste Kanzlerin, die gerechteste Regierung und auch die Demokratie weiter so toll und gerecht bleibt!
Die Einschränkung der Bürgerrechte führt unmittelbar, aber zunächst schleichend zu einem weniger an Demokratie. Sie stärkt die Feinde der Demokratie, statt sie zu bekämpfen, mag auch der Anlass noch so erschütternd, das Motiv noch so ehrbar sein.
Micha
Maaßen wäre nie zum Problem geworden, wenn nicht Wahlen vor der Tür gestanden hätten. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, das dieses Theater nicht auch von der Kanzlerin so gewollt war, zumindest hat sie es wohlwollend beobachtet.
Froschs Blog: » Im Netz aufgefischt #384
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