„Heimat Deutschland – nur für Deutsche oder offen für alle?“ So lautet der Titel der heute ausgestrahlten Sendung von „Hart aber Fair“. Der Titel ist aus meiner Sicht eine Frechheit. Und zwar aus vielerlei Gründen.
Was ist Deutsch?
Vor einigen Jahren saß ich mit einer Freundin einmal in einer WG-Küche. In dem Moment, als ich zu ihr sagte sagte „Ich denke schon, dass Deutschland meine Heimat ist“, kam ein Mitbewohner rein. Für ihn war dieses Statement ein Anlass, uns einen Kurzvortrag zum Thema rechte Sprache und Heimatbegriff zu geben. Ich reagierte irritiert. „Du weißt schon, dass du der einzige Bio-Deutsche hier im Raum bist?“, sagte ich. Er zog beleidigt ab. So nachvollziehbar ich fand, den Begriff kritisch zu sehen, weil Rechte ihn für ihre Zwecke vereinnahmen, so absurd war die Vorstellung für mich damals, mir aufgrund dessen verkneifen zu müssen als Deutsch-Polin zu sagen: „Das hier ist meine Heimat.“
Als Kind von Migranten bin ich in einer Umgebung groß geworden, in der viele meiner Freunde mit mehreren Sprachen und Kulturen aufgewachsen sind. Für die meisten meiner Freunde war es unvorstellbar, jemals in das Land ihrer Eltern auszuwandern. Hier sind wir aufgewachsen, haben Drei Fragezeichen Kasetten getauscht und uns über „Wetten Dass?“ aufgeregt. Mag sein, wir haben mehr als eine Muttersprache. Aber ist das allein ein Grund uns als Fremde zu betrachten? Kann man nicht an mehreren Orten zu hause sein?
Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, dass nicht andere darüber entscheiden dürfen, ob Menschen wie wir „deutsch“ sind oder nicht. Ich habe einen deutschen Pass. Wem das nicht genug ist und wer unterschwellig das rechte Framing von „Passdeutschen“ vs. „reinrassigen“ Deutschen übernimmt, begibt sich in rechtsextremes Fahrwasser. Gerade vor dem Hintergrund eines erst kürzlich veröffentlichten Manuals zum Thema „Framing“ der Öffentlich-Rechtlichen ist der Titel von „Hart aber Fair“ umso erstaunlicher. Es gibt zwei Möglichkeiten:
- Sie checken wirklich nicht, warum der Titel problematisch ist.
- Es ist ihnen egal, hauptsache die Quote stimmt.
Ich weiß nicht, welche der beiden Alternativen ich beängstigender finde.
Rechtes Framing
Wie heißt es so schön: „Es gibt keine dummen Fragen“. Dem muss ich leider widersprechen. Wer grundlegende Basics des Zusammenlebens infrage stellt, wer Menschen wie mir die Zugehörigkeit abspricht, der macht sich – ob er will oder nicht – zum Handlanger von rechten Framing-Mustern.
Die ARD hat eine besondere Verantwortung. Besorgte Bürger gibt es nicht nur im rechten Spektrum. Viele hier lebende Menschen sind ehrlich besorgt darüber, wie es in zehn Jahren in Deutschland aussehen könnte. Dabei geht es nicht um diffuse Ängste, sondern um die erlebte Erfahrung einer Zunahme von rechten Parolen und einer Normalisierung von Ausgrenzung. Wir stellen uns die Frage: Sind wir hier noch sicher? Das ist keine Befindlichkeit, das ist für uns existenziell.
Was kommt als nächstes?…
Mag sein, dass „provokante“ Fragen mehr Einschaltquoten generieren. Aber was kommt als nächstes? Twitter hat hier einige Vorschläge:
Bitte einer „besorgten Bürgerin“
Ich zahle gerne meinen Beitrag. Für die Tagesschau, für gut recherchierte Dokumentationen, für innovative Funk-Formate. Wenn meine Beitragsgelder aber dafür verwendet werden, um etwas zu normalisieren, das den Zusammenhalt in der Gesellschaft bedroht, dann habe ich Redebedarf. Ich bin mehr als nur besorgt. Das macht mir Angst.
Wer den Titel einer Polit-Talksendung zur besten Sendezeit so wählt wie „Hart aber Fair“, sollte sich seiner besonderen Verantwortung bewusst sein. Ich stelle mir vor, wie es sein muss, als Kind vor dem Fernseher zu sitzen und einer solchen Talk-Sendung zu lauschen. Die Message, die da transportiert wird, ist leider fatal. Sie lautet: „Ob Du Deutsch bist oder nicht, darüber entscheidet nicht Dein Pass, sondern andere.“
Ganz ehrlich: Unter Bildungsauftrag verstehe ich für meinen Teil etwas komplett anderes.
Dir hat dieser Beitrag gefallen? Das freut mich sehr! Dieser Blog finanziert sich ausschließlich über Leser-Spenden. Meine Kaffeekasse ist entweder über paypal.me/kattascha oder das Konto mit der IBAN-Nummer DE84100500001066335547 (Inhaber Katharina Nocun) erreichbar. Oder bei Steady. Natürlich freue ich mich auch, wenn Ihr das kommente Buch „Gefährlicher Glaube – Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“ (erscheint am 20.09.2022) vorbestellt :-)
Schoresch Davoodi
Oh ja, dein Beitrag spricht mir aus der Seele. Wenn ich höre, das weil man mir dank der iranischen Gesetzgebung den iranischen Pass mit aufgezwungen zu meinem deutschen Pass hat, und man mich irritiert ansieht das ich kein Moslem bin sondern evangelisch und ich nicht in das „Bild des richtigen Ausländer passe“, zucke ich nur mit den Schultern.
Das man sich wundert das ich so gut Deutsch spreche und wenn manche Leute irritiert sind, wieso ich mich für eine positive Politik in Deutschland einsetze & doch auch gegen den Rassismus gleichzeitig kämpfe, wundern sich manche Leute wo ich doch bitte hingehören soll.
Ein älterer Mann hatte damals obwohl er es „nett meinte“, immer wieder irritiert gefragt wieso mir „meine Heimat Iran“, wenig bedeutet und ob ich „kein Interesse hätte meine Heimat einmal kennenzulernen“, ich erwiderte wieso meine Heimat ist Bochum. Ich bin Deutscher ich bin Fan des VfL und ich zoffe mich gerne mit BVB und S04 Anhängern darüber, welcher Fussballverein der Beste im Pott ist. Und solange die Bayern nicht wieder die Meisterschaft holen ist mir alles egal.
Und doch sehe ich mich auch als Europäer. Ich habe Freunde an vielen Orten in Europa und mein Wissen und Horizont wurde durch die Frühzeit des Internets und auch in den Gaming Communities die sehr international waren, stark geprägt. Ich mag die Chancen das man Leute mit einem ähnlichen Mindset und doch so verschieden grenzübergreifend in Kontakt kommen kann und freue mich inzwischen langjährige Freundschaften zu Freunden in der Ukraine und anderen Orten zu haben. Daher wunder und ärgere ich mich, wenn man dann in Deutschland in alter Tradition des 19. Jahrhunderts definieren will, „wer im Osten hat ein guter Europäer zu sein und wen kann man in die EU lassen oder nicht“, ohne dabei mit den Leuten selbst zu reden. Auch wenn klar ist wenn ich mich auch mit jungen Ukraininern unterhalte, dass dieses Thema selbst im Land umstritten ist.
Aber was die Leute auf gar keinen Fall brauchen ist, das Deutsche dann in „guter überheblicher intellektueller Manier“ quasi „intellektuelles Schach mit der Zukunft und den Träumen der jungen Menschen dort spielen.“ Aber so geht es ja weiter, während für eine junge Generation Europa oft „normal wie das atmen ist“, ist für viele ältere der Nationalsstaat „heilig“ sie ärgern sich das der Wandel da ist und sie nicht mehr definieren können und die Definitionshoheit haben. Dies führt zu Aggressionen welche man in Netz oder wenn sie „alt und weiß genug sind“, dann in Zeitungen und TV Talks von sich geben.
Ihre Definition wer mitreden darf in diesem Land wird immer enger. Vorher waren es nur „die guten Deutschen“ und man schimpfte gegen alles andere. Nun beginnt aktuell eine junge Generation sei es bei FridayforFuture oder bei den Artikel13 Demos laut zu werden, und die gleiche Abwehr ist da. Man versucht nun den Leuten vorzuhalten, dass sie zu jung für den demokratischen Diskurs sind oder wie Herr Lindner sagt ihnen das Wissen fehlt.
Man versucht alles sei es „das man nicht Deutsch genug ist“ oder einfach zu jung als Filter im gesellschaftlichen Diskurs nun „zu erzwingen“ damit man nicht die eigenen Standpunkte hinterfragen oder sich Gegenargumenten stellen muss. Insgesamt eine sehr gefährliche Entwicklung für unsere Demokratie – aber am Ende kann sie daraus gestärkt hervor gehen, indem man diesen Ausgrenzenden Tendenzen sich vehement entgegenstellt.
Rainer Bielefeld
Na ja, ganz so entsetzt über den Sendungs-Titel bin ich nicht, weil ich fürchte, das genau DAS so mancher überlegt, der gerade darüber nachdenkt, ins „natürlich-nur-für Deutsch-Lager“ abzudriften. Und warum nicht die Leute da abholen, wo sie gerade sind? Aber andererseits – warum sollten sich alle die Art zu denken und Fragen zu stellen nun gerade von dieser speziellen Gruppe aufzwingen lassen? und dann zu einem feinsinnigen Thema einen solche grobschlächtigen Sendungstitel wählen? Nee, eigentlich doch nicht.
Und zur Sendung kann ich nichts sagen, habe sie nicht gesehen.
Und ich fürchte fast, Kaffeecups Albträume werden noch wahr werden.
Astrid Simon
Ich lebe im Saarland und bin viel in Frankreich unterwegs. Auch Lothringen und Elsaß fühlt sich für mich als Heimat an. Oft kommt es vor, daß dort jemand im hiesigen Dialekt sagt: „Mein Deutsch ist besser als Dein Französisch“ und als Dolmetscher einspringt. Dafür hab ich noch in den 1990er Jahren in Düsseldorf Komplimente für mein gutes Deutsch bekommen und daß ich sogar „H“ aussprechen kann. Das Heimatgefühl hat -wie alle Gefühle- nix mit Politik, Linien auf dem Papier, Ideologie zu tun sondern ist ein rein subjektives Empfinden.
Joachim Stein
Ich habe den Titel ausschließlich als Provokation verstanden und fand ihn entsprechend gut, weil er Menschen mit einem Funken Restverstand zum Nachdenken anregt. Titel wie „Wahlrecht – nur für Männer oder auch für Frauen?“ oder „Liebe – nur für Normale oder auch für Schwule?“ bringen einen ebenfalls a) zum Lachen und b) zum Nachdenken. Wer hier zustimmend reagiert, ist, glaube ich, ohnehin nicht mehr zu retten, weil er nicht in der Lage ist, den Sinn einer solch überspitzt formulierten Frage zu erfassen. Überdies bezieht sich der Titel ja ausdrücklich nicht auf Menschen, die Migranten mit deutschem Pass sind, sondern auf solche, die eben hier leben und keinen deutschen Pass haben. Du bist damit also gar nicht gemeint. Und damit es keine Missverständnisse gibt: Auch in meinen Augen soll hier jeder leben und dies seine Heimat nennen dürfen, dem es hier gefällt.
oh je Name?
Sich aus den Begrifflichkeiten und den daraus entwickelten Frames der Völkischen rauszuhalten, hat zur Folge dass diese mit diesen Frames ungestört bei den indifferenten Mitläufern agitieren können. Die anfängliche Strategie des Ignorierens des völkischen Booms war nicht besonders erfolgreich, oder?
Solche Frames funktionieren aber meist nur auf einem unterkomplexen Niveau. Als Doppelherkunftler habe ich mich immer schon gerne auf die „Heimat“-Diskussion eingelassen und das Schmalspur-Heimatkonstrukt lustvoll dekonstruiert. Nimm ihnen die Frames weg oder wende sie gegen sie selbst. Das tut denen viel mehr weh, als bestimmte Diskussionen zu verweigern.
Und das verspricht dieser Titel, der da jetzt so eine aufgeregte semantische Reflexempörung aufhängt. Ob die Sendung das dann leisten konnte, ist eine andere Frage, ich habe sie nicht gesehen.
Die Heimat die die meinen, ist tatsächlich derart eng und arm, aber: Ist dieses verarmte Bild von Heimat tatsächlich für die Mehrheit der derzeitigen Wähler und Sympathisanten der Völkischen die einzige denkbare positive Auslegung von Heimat? Können wir einen positiven Heimatbegriff beschreiben, der die Mitläufer überzeugt und deswegen den Agitatoren einen wirksamen Hebel in die indifferente Mitte wegnimmt?
Egal wie abgedroschen diese Phrase längst ist: Das ist effektives „teile und herrsche“.
Als in einem dritten Land geborener Deutsch-Finne mache ich das schon seit Jahren lustvoll und nicht ohne Erfolge, im Kleinen. Den Heimatbegriff überlasse ich ich denen nicht kampflos. Die überzeugten Agitatoren waren meist schnell dabei, das Thema zu wechseln, vor allem wenn indifferentes Publikum dabei war. Die merken nämlich selbst schnell, wie einfach deren Frame da aufzuknacken ist.
Sich stattdessen dem Begriff zu verweigern und jede Diskussion dazu als Kapitulation vor den Völkischen abzulehnen, ist aus meiner Sicht…eine Kapitulation vor den Völkischen.
Thorsten Roever
Diese ganze Diskussion über Heimat finde ich schwachsinnig, es wird so getan, ob Heimat etwas ist, das nur begrenzt vorhanden ist. „Das ist meine Heimat gib sie wieder her!“
Wenn jemand sagt, dass er sich heimisch fühlt, dann sagt er doch nichts anderes, als das er sich wohl fühlt. Es ist doch ein Kompliment für die dort Lebenden, es zeigt, daß sie einiges richtig gemacht haben. Ländergrenzen sind nur durch den Menschen willkürlich gezogene Linien. Die Menschen, die auf beiden Seiten der Grenzen leben unterscheiden sich in nichts.
Es gibt wichtigere Themen, über die man diskutieren sollte. Solche Themen, wie dieses, sollen wohl nur von dem wirklich wichtigen Themen ablenken und das ist ja nichts neues.
Nick (Kai) Sass
Hallo Katharina, Du hast mir so aus dem Herzen geschrieben. Auch ich bin sowas wie ein „Passdeutscher“. Meine Mutter und ihre Mutter und Geschwister wurde aus dem Baltikum (Estland) anlässlich des Hitler-Stalin-Paktes (Sowjetische Annektion des Baltikums, Teilung Polens) nach Posen „Heim ins Reich“ umgesiedelt und mussten von dort vor den Sowjettruppen in den Westen fliehen. So kam es, dass ich als Staatenloser in München aufwuchs. Später ließ ich mich einbürgern. Seither bin quasi beurkundeter Eingebürgerter mit deutschem Pass. Es war bis dahin und auch noch während der behördlichen Einbürgerungsaktion oftmals keine schöne Zeit, mit einem grauen Fremdenpass hier zu leben. Ich durfte beispielsweise nicht wählen. Für Reisen ins Ausland (auch nach Österreich, Italien oder Frankreich) musste ich Visa beantragen. Jetzt kommt wieder diese ekelhafte Diskussion in Teilen der Gesellschaft auf. Und zu allem Überfluss muss jetzt auch noch die ARD auf diesem Zug aufspringen. Ich hab‘ heut‘ bewusst die ARD „links“ liegen gelassen und zieh‘ mir den Krimi im ZDF rein. Danke Katy für Deine klaren Worte!