Die Netzbewegung

Der Spiegel hat eine Traueranzeige für die Netzgemeinde geschaltet. Einige Nachrufe sind erschienen. Die Netzbewegung liest und kichert und denkt sich: lol, wtf, gtfo.

Ich bin erst letztes Jahr von der Netzgemeinde zur Netzbewegung gestoßen. Es war nach der ersten ACTA Demo. Das Demobündnis war fix und fertig und glücklich. Wir hatten in Hamburg mit einem breiten Bündnis eine geile Demo gemacht. Auf der ersten Demo rief ich am Anfang in die Menge „Wer hat aus dem Internet hiervon erfahren?“ und tausende Leute hoben ihre Hände. Was ein geiles Bild. Nun wurde zu einer zweiten Demowelle gerufen. Auf der Mailingliste wurde diskutiert: Machen, nicht machen? Wenn wir es nicht machen, dann ist das ein schlechtes Signal. Wenn wir es machen und es wird klein, ist das auch ein Signal. Ich war dafür, einige dagegen. Also ungefähr die selbe Situation wie vor der ersten Demo. Also was tun? Zufällig erreichte uns dann eine Nachricht. Inhalt: „Jo Leute, wir haben da mal ein Facebook-Event für die zweite Demo angemeldet und da haben sich schon hunderte Leute eingetragen. Wir sind aber noch nicht volljährig. Könnt ihr die Demo für uns anmelden?“

Wir beschlossen uns zum Krisengespräch und Nachbesprechung zu treffen und luden die jungen Leute ein. Zwei Jungs, ungefähr 15. Der dritte konnte nicht kommen. Ich erinnere mich gut, wir diskutierten lange über das für und wieder. Die Jungs saßen da und schwiegen und beobachteten uns. Und irgendwann sagte ich: „Leute lasst doch mal unsere Gäste fragen. Die sind ja jetzt extra hergekommen. Wie seht ihr das?“ Alle schauten die Jungs an. Und die so: „Also wir haben jetzt Flyer gemacht und davon schon mehr als tausend gedruckt. Unsere Schule hat einen Kopierer, die Patrone ist jetzt leider leer. Morgen wird sie nachgefüllt. Dann können wir mehr machen.“ Ich schaute in die Runde und grinste. Die Anons im Raum grinsen mit. Und ich dacht: Da sitzen sie vor uns, die digital natives. Und während wir uns in strategischen Überlegungen überschlagen machen die einfach. Und plötzlich war die Entscheidung da: Wir machen das. Wir müssen das machen! Die Jungs sind noch nicht Volljährig – die zählen auf uns.

Und die Demo fand statt. Und es kamen ein paar Tausend ihrer Freunde. Und die drei Jungs hielten eine krasse Rede. Sie wurden angekündigt mit: „Das sind diejenigen wegen denen wir alle hier sind.“ Und dann erzählten uns die Jungs, warum wir hier waren: „Wir kämpfen hier für unsere Freiheit und unser größtes Privileg, die Demokratie. Aber warum müssten wir für etwas auf die Straße gehen, was wir eigentlich haben sollten? Unsere höchsten Rechte werden durch die Entstehung des neuen Gesetzes ACTA gefährdet. Unser Recht auf freie Meinungsäußerung unser Recht auf Privatspäre und unser Recht auf Demokratie. Aber warum das Ganze, wer zieht aus dem ganzen Mist einen Nutzen? Einzig und allein die große Industrie. Und das alles nur, damit nichts mehr im Internet kopiert wird, damit keine geschützten Dateien weiterverbreitet werden. […]“ So ehrlich, so von Herzen, so gar nicht Politikersprech, so radikal. So geil.

Alter, das ist die Netzbewegung die Gesetze zu Fall bringt! Und sie braucht keine zentralen Aufrufe und sie hat auch keine Führer. Sie druckt ihre Flyer selbst. Und sie ist groß und jung und stark und mächtig und voller Idealismus. Und bald, ja bald hat sie Wahlrecht und kann selbst Demos anmelden. Und eines kann ich aus erster Hand sagen: Sie mag es gar nicht wenn man an ihrem Internet rumpfuscht.

(Im April finden übrigens Aktionen gegen die Bestandsdatenauskunft statt. Ich mache mit. Und was macht ihr?)


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5 Kommentare

  1. irgendwie is dein flattr „meowbifyied“ und ich kann dich deswegen nicht flattrn.. vielleicht ist einfach der link im artikel merkwürdig?

  2. Hi Katta,
    Schön geschrieben :)

    Und wir machen das schon, auch wenn es im Moment nicht einfach erscheint.
    Wir, das Netz, die Vernetzung, Zugänglichkeit und Teilhabe, das müssen wir in den Vordergrund stellen, das muss wieder oberstes Prinzip werden. Leider ist das in der PPD unterhöhlt worden und es haben sich „alte und bewährte“ Strukturen gebildet, -einfach weils „einfacher“ ist, damit Dinge TM zu tun. Aber es tut sich ja was….

  3. Liebe Kattascha!

    Auch an dieser Stelle (m)ein großer Dank an Dich. Dein Enthusiasmus und Deine Taten sind wahnsinnig ansteckend und inspirierend. <3

    Liebe Grüße aus Dresden
    Fidel

  4. Das war vor einem Jahr. Da hätte ich ähnlich optimistische Zeilen geschrieben.

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