Was wird aus uns Schlüsselkindern?

WG-Streitigkeiten entstehen nicht nur wegen Kleinigkeiten. Beispielsweise, wenn man aufwacht und sich fragt, warum die Nachbarskatze auf einem liegt nur um festzustellen, dass der Mitbewohner die Tür sperrangelweit aufgelassen hat.

SUPER SUNRISE KEMP

Als Optimist denkt man sich: Wenigstens war der Herd nicht an. Aber der Zweifel am Konzept WG, nagt an einem. Wenn man zu doof ist die Tür ins Schloss zu ziehen zahlt nicht einmal die Versicherung, wenn jemand die Wohnung leer räumt. Wie soll man das schon finden?

Nachdem Snowden enthüllte in welchem unglaublichen Ausmaß Geheimdienste Daten von Millionen Bürgern weltweit abschöpfen, war der Uhl des Tages wie folgt:

Uhl1

Im Bundestag wurden plötzlich „Cryptoparties“ veranstaltet – eine Demonstration der Machtlosigkeit. Doch dabei sollte es nicht lange bleiben. Wer heute die Zeitung aufschlägt wähnt sich mitten in einem zweiten „Cryptowar“ – einem Krieg um das Recht, seine digitalen vier Wände abschließen zu dürfen. Geheimdienste wollen einen Zweitschlüssel. Und zwar systematisch.

Als Schlüsselkind bin ich davon nicht gerade begeistert. Ich bin in meinem Leben eine Zeit lang sehr oft umgezogen. Meistens mit der Mitfahrgelegenheit. Das ist der Vorteil, wenn der ganze Besitz in drei Kisten passt. So wirklich private Dinge besaß ich nicht wirklich. Ist nur Ballast. Ich glaube Polizisten die eine Hausdurchsuchung bei mir machen hätten früh Feierabend und später Mitleid. Obwohl, da sind ja noch die Rechner. Und da fängt das Problem an.

Vergleiche einer Online- mit einer „echten“ Hausdurchsuchung sind für mich krumm und schief. Weil meine Wohnung die meiste Zeit so gut wie nichts privates über mich verraten würde. Dann durchwühlt eben jemand meine Unterwäsche, na und? Was dem anderen seine Nachttischschublade, sind mir meine Rechner und Passwörter. Und ich glaube es gibt immer mehr Menschen die so sind wie ich.

Eine staatlich verordnete Hintertür ist wie ein Zweitschlüssel für jede Wohnung den man beim „Ministerium für Sicherheit“ hinterlegen muss. Während man bei einer Hausdurchsuchung anwesend sein und zuschauen kann (und sollte), kann man digital ein- und ausgehen wie man will. Vielleicht geht sogar jemand rein und setzt sich in mein Schlafzimmer und bleibt dort sitzen. Monatelang. Unsichtbar. Wenn „Beweise“ mitgenommen werden, dann stehen sie bei mir noch unverändert im Order. Wer meinen Schlüssel hat kann außerdem alles mögliche unter meinem Bett deponieren und in meinem Namen verbreiten – wie soll ich schon beweisen, dass es nicht meins ist?

Statt Sicherheit zu schaffen, öffnet das der Unsicherheit buchstäblich Tür und Tor. Kursiert der Generalschlüssel auf dem Schwarzmarkt? Passt er auch zu den Unternehmensgeheimnissen von Siemens, dem Atomkraftwerk um die Ecke und der vertraulichen Korrespondenz zwischen Journalisten und Informanten? Wie werden dann eigentlich die Geheimdienst-Datenbanken gesichert – dürfen die dann als einzige noch „echte“ Verschlüsselung benutzen? Wenn Wissen Macht ist, was sagt das dann über die Machtverhältnisse im Staat aus?

Nach Snowden hieß es, wir sollen uns selbst helfen, wenn Regierungen der Mumm fehlt Geheimdienste zurückzupfeifen. Aber der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung ist für Geheimdienste anscheinend so was von 80er. ganz nach dem Motto: „Warum haben sie Gardinen, was haben Sie zu verbergen? Nackt steht ihnen sowieso viel besser.“ Was wird jetzt, mehr als ein Jahr danach, aus uns Schlüsselkindern, wenn der Uhl des Tages heute lautet:

Uhl2014

In Kanada wurde kürzlich ein Mann verhaftet, weil er sich weigerte, dem Zoll-Beamten die PIN von seinem Smartphone zu geben. In Großbritannien dürfen Menschen bereits in Beugehaft genommen werden, damit sie Passwörter herausgeben. Dem Freund von Glenn Greenwald wurde das angedroht. In Deutschland gilt nach wie vor, dass niemand gezwungen werden kann sich selbst zu belasten. Noch. Denn im Zuge dieses neuen „Cryptowars“ sägen Geheimdienste am letzten halbwegs sicheren Ast auf dem wir sitzen. Was bleibt uns dann eigentlich noch, wenn den Schlüsselkindern ihr Schlüssel weggenommen wird?

angrycat

Wenn der Mitbewohner die Tür auflässt ist das zugegeben nicht gerade optimal. Aber ich bin Optimist und denke mir: Wenigstens war der Herd nicht an. Shit happens. Es gibt schlimmeres als mit einer Katze auf dem Bauch aufzuwachen. Ich teile das Frühstück mit ihr. Den Geheimdienst will ich trotzdem keinen Zweitschlüssel geben. Ich will ihn auch nicht auf meinem Bett sitzen haben.

Denn sind wir heutzutage nicht alle Schlüsselkinder? Unsere Gesundheitsdaten, unsere Bankdaten, alles alles was wir digital vor fremden Zugriff sichern wollen ist auf solche sichere Technologien angewiesen. Wenn es Geheimdiensten gelingt, Verschlüsselung zu verbieten und Hintertüren verpflichtend zu machen, ist das organisierte innere Unsicherheit. Ein Anschlag auf die kritische Infrastruktur. Dann bin ich pissed – und das solltet ihr auch sein.


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9 Kommentare

  1. Der Staat wird damit immer mehr zum feind. Bloß: Mit Reden allein wird man die, die Macht haben nicht überzeugen. Das ist eine Entwicklung, die so lange weiter geht, bis endlich wieder jemand den Mut hat, die Waffe in die Hand zu nehmen und für seine Rechte zu kämpfen.

  2. @Spaeth

    Dafür wollte ich schon lange etwas zu PaaS schreiben. Da hat mir wer anders was voraus, wie ich dem Instituts-Blog entnehme ;)

  3. Dann wühlen sie halt in meiner Unterwäsche finde ich nicht egal. Eine gute Freundin von mir ist vor ein paar Monaten unberechtigt Opfer einer Durchsuchung geworden. Die hat seitdem keine ruhige Sekunde mehr. Fühlt sich nicht mehr sicher, kann nicht mehr ruhig schlafen, fürchtet ständig wieder überfallen zu werden, ist sogar in Behandlung deswegen. Die Täter laufen frei rum, kommt man nicht ran, werden vom Staat geschützt.

    Gefährder, wenn ich sowas schon höre. Uhl und der Rest der politischen Kaste sind die einzigen Gefährder hier. Wenn Snowden sagt dass wir uns selbst helfen sollen, wenn Regierungen der Mumm fehlt Geheimdienste zurückzupfeifen, unterliegt er dem Missverständnis, dass die Geheimdienste ohne Wissen der Regierung arbeiten. Stimmt aber gar nicht. Die Regierungen sind doch das Problem, die Geheimdienste arbeiten für Regierungen (http://www.oqgc.com/bilder/Plakat-Geheimdienste-Politiker.png). In dieser Farce NSA-Untersuchungsausschuss sieht man das überdeutlich. Angeklagte gibt es da nicht. Die Täter, Geheimdienstler, sitzen als Zeugen da. Zeugen kann man nichts tun. Die Anstifter, Politiker, sitzen auf einer extra Bank und bestimmen, was die Zeugen sagen dürfen. Immer wenn es ihnen zu heikel wird, wenn rauskommt dass sie das alles veranlasst haben, schreiten sie ein und verbieten dass weiter erörtert wird was los ist. Snowden hat Recht, dass wir uns selbst helfen müssen, aber nicht gegen die Geheimdienste, sondern gegen die Politiker. OQGC wird da deutlicher http://www.oqgc.com/veroeffentlichungen/download/Wir_Menschen-OQGC.pdf, im Kapitel Politik, Verbrechen und Macht. So wie ich das sehe, ist das der einzige Weg. Oder denkt irgendjemand dass die 128246384. Demonstration oder Forderung nach Freiheit was nützt? Oder Verschlüsselung vielleicht? Wenn die Geheimdienste die Algorithmen manipuliert haben?

  4. Danke, so einen ähnliche Blogpost wollte ich eigentlich auch schon geschrieben haben, denn die krassen Gegensätze des „alle müssen verschlüsseln“ bis – nur kurze Zeit später – zum „Verschlüsseln ist böse“ sind schon heftig.

    Grüße aus Hamburg!

  5. aber ne Katzenklappe-Front/Backdoor wollen die uns allen doch unterjubeln.

    und die „Liebe der Wohngemeinschaft“ wird hier im Comic schön verballhornt ;>
    http://www.wg-himmel.de

    lg
    c:

    ps: Vertipper: „Den Geheimdienst will ich trotzdem keinen Zweitschlüssel geben.“

  6. Es wurde ja teilweise auch schon gefordert, der Staat wolle gleich einen Schlüssel für die Vordertür. Womit ich prinzipiell nicht mal ein Problem hätte, wenn ich denn darauf vertrauen dürfte, dass die Regierung, um ihn zu benutzen, dann auch:

    – einen begründeten Verdacht auf ein Verbrechen hat,
    – einen Durchsuchungsbefehl hat,
    – mir das Wann und Warum der Benutzung nachweisen muss,
    – nicht willkürlich gleich jede Tür eintritt und
    – die Nichteinhaltung von oben Genanntem Konsequenzen für die Verantwortlichen hat.

    Mit schlichten Worten: Wenn sie sich an die Spielregeln hält.
    Der Bürger gewährt dem Staat das Gewaltmonopol und darf dafür erwarten, dass der Staat bei dessen Ausübung seine Grundrechte achtet.

    Im Moment vertraue ich „unserer“ Regierung allerdings nur so weit, wie ich „unsere“ Kanzlerin werfen könnte. Folglich gibt’s weder Eingang zur Vorder- noch zur Hintertür. Wenn die Regierung den Bürger als Feind behandelt, darf sie umgekehrt nichts anderes erwarten…

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