Fauler Kompromiss beim Meldegesetz

…oder Miriam beim Meldeamt

Der Bundesrat hat getagt. Und wie von den Landesvertretern angekündigt und von Datenschützern erwartet, geht das missratene Meldegesetz nun in den Vermittlungsausschuss. Die Presse jubelt: „Meldegesetz vom Bundesrat gestoppt“. Einige lassen sich sogar dazu hinreißen, dies als Sieg zu verbuchen. Doch der große Applaus bleibt aus.

Und das hat seinen Grund. Der Vermittlungsausschuss wird nicht im leeren Raum entscheiden. Der Innenausschuss des Bundesrats hat bereits am 06.09. in Berlin getagt. Die Innenminister der Länder waren sich schnell einig: Der umstrittene §44 zur Einschränkung des Widerspruchsrechts bei einfachen Melderegisterauskünften muss geändert werden. Bei den Stichworten „Datenschutz, Einwilligungslösung“ nickten alle und zeigten sich einsichtig. Man habe Fehler gemacht, werde diese aber nun korrigieren. Es sei alles nur ein schreckliches Missverständnis, ein tragisches Versehen, so wird es jedenfalls medial vermittelt. Schließlich können Fehler jedem passiere, oder etwa nicht? Fast denkt man die Abgeordenten würden allen Ernstes vermitteln wollen, sie wüssten schließlich gar nicht was sie da tun. Eine wenig rühmliche Aussage, die Sorgen bereitet.

Aber so richtig getraut hat man sich dann doch nicht. Man weiß nicht, was die Innenminister dazu gebracht hat die Änderungsanträge so zu beschließen wie es an diesem Dienstag morgen in Berlin gekommen ist. Der schleswig-holsteinische Innenminister nahm mit einem Lächeln auf den Lippen rund 190.000 Unterschriften von Gegnern des Meldegesetzes entgegen. Datenschutz- und Verbraucherschutzorganisationen riefen als Bündnis „Meine Daten sind keine Ware“ vor den Toren des Bundesrates mit Trillerpfeifen zum Widerstand gegen staatlichen Datenhandel auf. Rena Tangens schaute ihn ernst an und mahnte, die Vermieterbescheinigung und die Hotelmeldepflicht bei den Verhandlungen nicht außen vor zu lassen. Sie nickten, sie nahmen die Daten und sie verschwanden im Bundesrat um eine Empfehlung zu verabschieden, die aus Sicht von Datenschützern keinen großen Wurf darstellt. Schlimmer geht zwar immer, aber trotzdem ist das kein Grund für überschwenglichen Optimismus.

Zum Inhalt: Die Empfehlung des Innenausschusses sieht vor, dass „eine Einwilligungslösung“ beim staatlichen Datenhandel mit einfachen Melderegisterauskünften greifen soll. Doch was der Innenausschuss als Einwilligungslösung betrachtet entspricht keineswegs dem, was sich Daten- und Verbraucherschützer darunter vorgestellt haben, als sie diese Forderung aufstellten.

Zwei Einwilligungslösungen und ein gewaltiger Unterschied

Was ist eine echte Einwilligungslösung? Eine Einwilligungslösung meint, dass eine Datenweitergabe nur dann erlaubt wird, wenn der Betroffene ausdrücklich sein Einverständnis gegenüber dem Meldeamt gegeben hat. Das heißt, wenn eine Unternehmen Daten von Miriam Musterfrau kaufen möchte, geht der Herr in dem grauen Anzug zum Einwohnermeldeamt und sagt: „Hallo ich hätte gerne einmal Maria Musterfraus Daten.“ Da könnte ja jeder kommen, denkt sich die Sachbearbeiterin und bittet gesetzestreu wie sie ist um einen Ausweis. „Dann möchte ich erst einmal ihre Daten haben, junger Herr.“ Nachdem sie in ihren Akten nach Maria Musterfrau gefahndet und diese aufgespürt hat, schaut sie, ob ein Einwilligungs-Formular vorhanden ist. Das ist nicht der Fall. „Es tut mir leid, ich kann ihnen in dieser Sache keine Auskunft erteilen.“ Es liegt keine Einwilligung zur Datenweitergabe vor. Fall erledigt – der nächste bitte.

Was ist eine faule Einwilligungslösung? Ein fauler Kompromiss beim Meldegesetz zeichnet sich dadurch aus, das eine Prüfung der Einwilligung wenn überhaupt nur sporadisch erfolgt. Das heißt, wenn ein Unternehmen Daten von Miriam Musterfrau kaufen möchte, schickt es wieder einen jungen Herrn in grauem Anzug zum örtlichen Einwohnermeldeamt. „Hallo ich hätte gerne einmal Maria Musterfraus Daten.“ Die gesetzestreue Sachbearbeiterin kramt in der obersten Schreibtischschublade und holt das Formblatt einfache Melderegisterauskunft hervor. „Bitte einmal ausfüllen und alles Ankreuzen.“ Der junge Datenhändler füllt das Formular aus. Natürlich möchte er die Daten nicht zu Zwecken des Direktmarketing nutzen, kreuzt er an. Natürlich liegt ihm eine Einwilligung von Miriam Musterfrau vor, die er auf Verlangen vorzeigen kann. Mit einem Lächeln recht er der Sachbearbeiterin das ausgefüllte Formblatt. „Bitte sehr“, er reicht ihr mit einem Lächeln den Kugelschreiber. Die Sachbearbeiterin sagt kurz „Moment“ und verschwindet wieder hinter einem Bildschirm. Der Drucker rattert. „Bitte sehr, einmal Miriam Musterfrau“, sagt sie mit einem mürrischen Lächeln. „Darf es sonst noch etwas sein?“ „Nein danke, fürs erste wäre es das gewesen.“ „Das macht 5,50. Bar der Karte? Über unsere Online-Schnittstelle kostet die einfache Melderegisterauskunft übrigens nur noch 1,50 Euro. Denken sie einmal darüber nach. Ab der elften einfachen Melderegisterauskunft bieten wir 50% Rabatt an.“ Er lächelt. Von wegen Servicewüste Deutschland – hier ist der Datenhändler noch König. Er nimmt seinen Ausdruck mit Miram Musterfraus Datensatz und schlendert zum Ausgang. „Der nächste bitte!“ Der Herr von der Bundeswehr rückt einen Platz auf, hinter ihm drängelt schon der Kirchenvertreter ungeduldig – er kommt zu spät zur Gemeindesitzung und hat es ganz eilig. Doch der Parteienvertreter mit dem auffälligen Schnäuzer und dem braunen Jackett ist noch vor ihm dran. Ihr Formblatt ist weniger umfangreich. Nicht alle haben sich die Mühe gemacht persönlich vorbei zu kommen. Schließlich ermöglicht die neue Online-Schnittstelle das Datenshopping bequem von zu Hause aus. Der etablierte Partei-Vertreter ist daher gar nicht erst zum Meldeamt gekommen. Er macht dies per Online-Portal von der Fraktionssitzung aus und kauft Daten von Erstwählern. Freut sich über den neuen Rabatt und packt noch mehr Daten in den Warenkorb.

Adresshandel ist nur die Spitze des Eisberges

Matthias Mustermann trippelt ungeduldig von einem Bein auf das andere. Es ist gerade nach Musterstadt gezogen und wollte nur schnell seine Vermieterbescheinigung abgeben. Und  dann blockieren ausgerechnet ein Priester, ein Mann in Bundeswehr-Overall und ein dubios aussehender junger Typ in einem schlecht sitzenden Anzug den Schalter. Ärgerlich. Es hatte Tage gedauert bis der Vermieter endlich den Wisch herausgerückt hat. Und dann so etwas… Miriam Musterfrau genießt während dessen ihren Urlaub. In ihrem Hotel am Teutoburger Wald musste sie beim Check-In ziemlich viele Daten abgeben. „Entschuldigung, ist halt gesetzlich Vorschrift. Finden wir auch ärgerlich“, sagte der Nachtportier. Beide ärgern sich über das neue Meldegesetz. Maria und Matthias haben versucht herauszufinden, an wen die Daten herausgegeben wurden. Auf ihr Auskunftsersuchen hin, kamen aber nur äußerst unbefriedigende Antworten: Man gebe lediglich Daten soweit rechtlich zulässig weiter, heißt es. „Tolle Antwort“, denkt sich Miriam. Wenn drin gestanden hätte, dass auch außerhalb des rechtlich möglichen Daten gehandelt werden, wäre dies auch verwunderlich gewesen. Auf Miriams telefonische Anfrage hin versichert die Sachbearbeiterin, man könne prüfen, ob die Unternehmen tatsächlich eine Einwilligung zur Datenweitergabe hätten. Sie räumt jedoch ein, dass aufgrund von Personalengpässen dies nur in absoluten Ausnahmefällen geschieht. „Sie glauben gar nicht wie viel Zeit so etwas kostet“, entschuldigt sie sich. „So sind nun einmal die Gesetze, da können wir dann auch nichts machen. Das regelt ja jetzt alles der Bund.“

Sind wir nicht alle ein wenig… Adresshändler?

Die Liste der Gruppen und Organisationen, die auf einfache oder auch erweiterte Melderegisterauskünfte zugreifen dürfen ist lang. Und sie wird länger. Es gibt so viel, was in der Debatte um das in 57 Sekunden durch den Bundestag gesprintete Meldegesetz untergegangen ist. Die Bundeswehr kauft Daten Minderjähriger. Die GEZ hat eine Standleitung zum Amt. Die ungarische Polizeibehörde kann Daten beantragen und wird sie auch bekommen, ungeachtet des Regimes das dort gerade wütet. Auch Staatsanwaltschaft, Polizei, Geheimdienste und Gerichte, Zollbehörden und viele mehr können über ein automatisiertes Abrufverfahren den Weg über die Sachbearbeiterin bedeutend abkürzen. Religionsgemeinschaften bedienen sich ebenso großzügig wie die Parteien. Kirchen bekommen dabei sogar Daten von Familienangehörigen ihrer Mitgliedern, die mit der Kirch gar nichts am Hut haben. Mancherorts bieten Mengenrabatte und Online-Schnittstellen umfassenden Komfort bei Datenabfragen. Die Auskunftsrechte der Betroffenen sind mangelhaft. Die Vermieterbescheinigung ist ein bürokratisches Monstrum, die Hotelmeldepflicht stellt Reisende und Gäste unter Generalverdacht. Zu Gast bei Freunden: „Sie schlafen auswärts, das ist aber verdächtig!“

Denkzettel statt Formblätter

Die Daten werden erst bis zu 55 Jahre nach Tod oder Wegzug gelöscht. Daher heißt es auch beim neuen Meldegesetz: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“. Im Zweifel Widerspruch einlegen – mit dem passenden Formblatt und dem politischen Wahlzettel. Denn das ist anscheinend der einzige Denkzettel, denn man im Bundesrat und -tag nachhaltig  versteht.

(Zeichnungen: xx-crew)



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