Besuch der Fraktionen NRW und SH: How-to-Landtag-Spickzettel

Ich bin in der vergangenen Woche viel rumgekommen. Unter anderem war ich in Düsseldorf zu Besuch bei der Landtagsfraktion der NRW-Piraten und in Kiel bei der Piratenfraktion. Zusammen mit vielen anderen Landtagskandidaten aus Niedersachsen haben wir einmal einen Blick hinter die Kulissen gewagt. Wir wollten wissen, wie wir uns am besten auf die Landtagswahlen vorbereiten können und welche Schwierigkeiten eine junge Fraktion womöglich erwarten. Die Erfahrungen aus NRW habe ich in Kurzform bereits in unserem Kandidaten-Blog zusammengefasst. Das Gespräch mit der Piratenfraktion in Kiel konnte man als Live-Stream mithören. Ich habe mir in einer ruhigen Minute mal einen Spickzettel „How-to-Landtag“ zusammengeschrieben mit den wichtigsten Infos.

Know your Geschäfts- und Finanzordnung
Dieses Mantra wurde gebetsmühlenartig sowohl in NRW als auch in Kiel wiederholt. Zu Recht, wie ich denke. Denn ohne Kenntnisse der Geschäfts- und Finanzordnung kann man als junge Fraktion gar nicht absehen, welche Möglichkeiten man hat und welche Hürden zu überwinden sind beim bürokratischen Parcourlauf. Die Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtags habe ich mir letzten Monat bereits vorgenommen und dort auch einigen Nachbesserungsbedarf gesehen. Die Finanzordnung steht diesen Monat als Abendlektüre an. Ich fände ein kleines How-to-GO für die Kandidaten schön, damit sich nicht jeder durch den Paragraphendschungel kämpfen muss. Ich schaue mal ob ich in meinem Wahlkampfurlaub die Zeit dazu finde.

Gutes Personal ist die halbe Miete
Uns wurde immer wieder geraten sich schon einmal Gedanken über mögliche Mitarbeiter zu machen. Beachtlich fand ich die Zahl von Bewerbungen die bei den Fraktionen eingegangen sind. In NRW haben sich wohl 1400 Menschen auf die wenigen Stellen beworben. Umso wichtiger, sich vorab auf klare Kriterien und den Ablauf von Ausschreibung zu einigen. Ich fand das anonyme Bewerbungsverfahren der Piraten SH sehr gut gelungen. Bei diesem Verfahren werden irrelevanten Daten (Geschlecht, Alter, Herkunft, etc..) gezielt von einer dazwischen geschalteten Stelle verschleiert. Das verursacht zwar mehr Aufwand, das Ergebnis war aber, dass viele Menschen eingeladen wurden, die sonst bei Bewerbungsgesprächen aufgrund dieser Kriterien ausgesiebt werden. Aus meiner Sicht ist so ein Verfahren gerechter. Bei der NRW-Fraktion arbeiten zahlreiche ehemaligen Mitarbeiter anderer Fraktionen (Linke, CDU). Bedenken bezüglich von Interessenskonflikten gab es dort nicht, ganz im Gegenteil wurde betont, dass deren Erfahrung der parlamentarischen Abläufe eine große Hilfe ist. Immer wieder kam auch der Hinweis, sich fehlende Kompetenzen ins Boot zu holen, da „nicht alle Innen und Netzpolitik“ machen können.

Die Sache mit der Transparenz
Wir wurden vor einer wahren Papierflut gewarnt, die uns bei einem Einzug in den Landtag erwarten werde. Einladungen zu Mittagessen, Kaffee, Schnittchenspaß, Freikarten-Bestechungsversuche, Empfänge und Bootsfahrten – Interessengruppen lassen anscheinend nichts unversucht, um mit Abgeordneten ins Gespräch zu kommen. Wäschekörbe eignen sich angeblich hervorragend, um diesem Lobby-Tsunami Herr zu werden. (Einfach mal ins Netz stellen, wer da so anklopft, ist auch eine gute Strategie). In NRW wurde uns geraten, bloß nicht überall hinzugehen und sich nur thematisch interessante Veranstaltungen rauszupicken. Es sollte stets transparent sein, wenn solche Termine wahrgenommen werden. In Kiel war ich bei einem Gespräch dabei, dass aufgrund von Bedenken der Interessenvertretern nicht als Podcast live aufgenommen wurde. Wir haben daher im Anschluss einen Podcast gemacht und den Inhalt des Gesprächs wiedergegeben. Überraschend für mich war: Gar nicht mal so wenige Interessenvertreter haben gegen eine Aufzeichnung des Gesprächs nichts einzuwenden, wurde mir berichtet. Besonders bei lokal interessanten Themen ist dies womöglich ein zusätzlicher Kanal für beispielsweise eine Bürgerinitiative, um die eigenen Argumente einem weiteren Publikum vortragen zu können. Ich brauche dringend eines dieser schicken Aufnahmegeräte. Und ich fände es gut, wenn man direkt zu Beginn hier ganz klare Regeln setzt. Und Bestechungsversuche, ähm ich meine „Geschenke“, die über einen Kaffeebecher für die Gemeinschaftsküche hinausgehen, grundsätzlich nicht annimmt.

Basisarbeit: Back to the roots
Die Piraten in NRW hatten ursprünglich angedacht regelmäßig die Stammtische in ihren Regionen zu besuchen. Momentan sei dies aufgrund der Haushaltsdebatten und der damit verbundenen Mehrarbeit leider noch nicht flächendeckend umgesetzt worden. In SH sind die Abgeordneten regelmäßig bei Stammtischen in ihrem Wahlkreis. Zusätzlich finden rotierende Fraktionssitzungen außerhalb von Kiel statt. Die Organisation übernimmt der jeweilige Stammtisch vor Ort, Besucher und Presse sind herzlich eingeladen, bei den Sitzungen dabei zu sein. Ich persönlich fände sowohl rotierende Fraktionssitzungen als auch regelmäßige Stammtischbesuche auch in Niedersachsen super. Wir haben auf den vorderen Plätzen leider nicht alle Regionen vertreten. Umso wichtiger daher, dass auch diese Gebiete einen direkten Ansprechpartner haben, der auch regelmäßig vor Ort ist. In NRW können über ein Antragsportal Anträge für den Landtag von Mitgliedern eingebracht werden und es wurde auch angeregt, dass die wissenschaftlichen Mitarbeiter sich bei den zuständigen Arbeitsgruppen vorstellen und eng mit diesen zusammenarbeiten. Ein Patentrezept gab es hier weder in Düsseldorf noch in Kiel. Das ist aber auch nicht weiter schlimm, da mir Patentrezepte grundsätzlich suspekt sind.

Das Ende der Privatheit
Abschied vom alten Job, ein überquellendes Postfach und eine nicht abreißende Mailflut – der Einzug in den Landtag verändert den Alltag. Ein riesiger Erwartungsdruck lastet auf den Abgeordneten – Überstunden sind keine Ausnahme sondern die Regel. An den Wochenenden warten bereits Auswärtstermine. Es sei wichtig, sich selbst nicht zu überfordern und sich auch gezielt Zeitfenster für Familie und Freunde freizuhalten. In NRW ist kaum jemand in die Landeshauptstadt gezogen – die meisten pendeln oder haben es nicht weit nach hause. „Abheben? Meine Freundin erdet mich schon ganz gut“, sagte einer unserer niedersächsischen Kandidaten einmal bei einem Treffen als wir uns über abgehobene Politiker unterhielten – und alle brachen in schallendes Gelächter aus. Und ich denke diese Erdung ist wichtiger als manche vielleicht denken. An der Uni habe ich mal eine Ausarbeitung über Patchwork-Identitäten von Politikern und die Folgen von Öffentlichkeit für die Persönlichkeitsentwicklung gemacht, die mich nachhaltig geprägt hat. Öffentlichkeit und Macht, macht etwas mit Menschen und es ist wichtig sich hier einen Gegenpol zu bewahren von Menschen, die einem nicht nach dem Mund reden. Und Ruhezeiten, bei denen der Empfang vom Handy auch mal sehr sehr schlecht sein kann. 

Fazit: „Wir sehen uns im März in Kiel!“ (hoffentlich)

Im März findet das nächste Fraktionentreffen der Piraten statt. Und sowohl in Kiel als auch in D-Dorf wurde uns lapidar zugeworfen, man werde sich spätestens dann ja wiedersehen. Ganz so locker sehe ich das nicht, wir sind ja schließlich auch noch mitten im Wahlkampf und bis zum 20. Januar wird noch viel Schnee auf Niedersachsen fallen. Wäre trotzdem schön wenn das klappt. Durch solche Aktionen wie die Besuche in Kiel und Düsseldorf lernen wir nicht nur die Arbeit anderer Fraktionen sondern auch einander besser kennen. Und ich denke das ist ein Skill, den man sich nirgendwo abschauen kann. Da hilft nur gemeinsam stundenlang im Stau stehen, in kalten Fußgängerzonen Unterschriften sammeln und durch Flur- und Treppen-Irrgärten irren, auf der Suche nach dem Kaffeeautomaten. Denn mit etwas Glück werden wir alle bald sehr viel Zeit mit einander verbringen. Keine schlechte Idee also, schon vorher zu lernen, als Team zusammenzuarbeiten.



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