Über Spielregeln reden: Geschäftsordnung Landtag Niedersachsen

Grundlegendes:

Die Geschäftsordnung regelt die parlamentarischen Abläufe für die Legislaturperiode. In der Geschäftsordnung ist sowohl das Verhältnis zwischen Abgeordneten und Fraktion als auch zwischen Fraktionen als auch zwischen Parlamentariern und Gremien, wie etwa dem Ältestenrat und Präsidenten usw. geregelt. Zudem enthält die Geschäftsordnung Regeln dafür, wie die Ausschüsse arbeiten und wie Anträge und Gesetzesinitiativen bearbeitet werden. Die Geschäftsordnung regelt auch das Rederecht der Abgeordneten und legt fest, wann ein Ausschuss öffentlich und wann nichtöffentlich tagt.

Es geht hierbei also darum, welche Spielregeln für die Abgeordneten im Parlament gelten. Es geht darum, wie das Parlament sich zu seinen Bürgern verhält. Es geht um Kontrolle von Macht und transparente und nachvollziehbare Entscheidungen. Denn die Geschäftsordnung des Landtages regelt auch, welche Dinge öffentlich behandelt werden, so dass Nichtregierungsorganisationen und Bürger Einblicke in das politische Geschehen bekommen, und welche Dinge im geheimen verhandelt werden. Es geht darum, dass Lobbyinteressen und Korruption kein Nährboden gegeben werden darf.

Nicht zuletzt geht es aber auch um Verantwortung, die den Parlamentariern durch ihre Wähler übertragen wurde. Und mit der Verantwortung ist hier ausdrücklich auch die Verantwortung der großen Fraktionen gegenüber den Wählern von kleinen Fraktionen und fraktionsloses Abgeordneten sowie sogenannten „Abweichlern“ gemeint, die ebenso ihren Raum in der politischen Debatte beanspruchen. Die Geschäftsordnung regelt gar nicht so sehr, worüber im Landtag geredet wird. Sie regelt jedoch sehr wohl, wie mit einander geredet wird. Wer reden darf, und wer schweigen muss und wessen Themen auf die Agenda kommen und welche Anträge dabei unter den Tisch fallen.

Ich möchte diesen Antrag einbringen, da ich denke, dass parlamentarische Spielregeln grundsätzlich hinterfragt werden müssen, wenn wir merken, dass wie z.B. beim Meldegesetz etwas grundlegend schief läuft. Die Geschäftsordnung, die ich mir wünschen würde, sollte die demokratische Debatte fördern. Ich bin zudem der Meinung, dass die Parlamentarier Nebeneinkünfte und Kontakte zu Interessengruppen lückenlos offen legen sollen. Denn Transparenz ist das stärkste Mittel gegen Korruption, Vetternwirtschaft und Lobbyismus. Außerdem wünsche ich mir als Bürger Solidarität von den Abgeordneten. Ihre Einkommen sollen an die Lohnentwicklung der Beschäftigten in Niedersachsen gekoppelt werden. Wer aufgrund der Gehälter in die Politik geht hat aus meiner Sicht etwas falsch verstanden.

Warum ein Antrag hierzu, noch bevor klar ist ob wir den Einzug in den Landtag schaffen? Ganz einfach: Mir ist es wichtig, klar zustellen, dass es uns auch um einen Strukturwandel in der Politik geht. Es geht darum, die Spielregeln fairer und demokratischer zu gestalten, damit Politik nicht länger zu Verdrossenheit führt. Politik muss in Parlamenten gelebt werden. Neue Spielregeln haben das Potential an dieser Stelle Raum zu schaffen, um gemeinsam mit transparenteren Strukturen für eine Wiederbelebung parlamentarischer Kultur einzutreten. Darum stelle ich diesen Antrag.

Ich lade daher alle Listenkandidaten, Mitglieder des Landesverbandes Niedersachsen und interessierten Netzbürger dazu ein, Anregungen, Ideen und Korrekturen einzubringen: http://piratenpad.de/p/GO-NDS

#######Antragstext#####

Frischer Wind im Parlamente durch Transparenz, Offenheit und Nachvollziehbarkeit

Wir Piraten wollen frischen Wind in die Parlamente bringen und die politische Kultur wiederbeleben. Wir wollen, dass in den Parlamenten wieder echte Debatten anstatt der jetzigen Scheingefechte stattfinden. Wir wollen, dass wieder mit statt über einander gesprochen wird. Dabei soll das gesprochene Wort gelten. Die derzeitige Praxis, Reden zu Protokoll zu geben und im Nachhinein vor Veröffentlichung zu „korrigieren“ lehnen wir ab. Zugleich wollen wir die starre Redeordnung in den Landtagen aufbrechen und statt dessen echte lebendige Debatten ermöglichen.

Wir Piraten wollen, dass im Niedersächsischen Parlament im Plenum grundsätzlich nur dann Entscheidungen getroffen und Debatten geführt werden dürfen, wenn mehr als die Hälfte der Abgeordneten anwesend sind. Zudem fordern wir öffentliche Sitzungen als Standardeinstellung für die Gewährleistung von transparenten und nachvollziehbaren Entscheidungsprozessen und den barrierefreien Zugang zu Ton-, Video- und Schriftdokumenten für alle interessieren Bürgerinnen und Bürger. Wir Piraten stehen für das freie Mandat ein und wollen die Rechte der einzelnen Abgeordneten gegenüber ihren Fraktionen stärken und so gegen Fraktionszwang vorgehen.

Gemeinsam wollen wir ein Zeichen setzen, gegen Korruption und  Lobby-Interessen. Wir fordern, dass Nebeneinkünfte und wirtschaftliche  Interessen von Parlamentariern lückenlos offen gelegt werden sollen. Und  wir sprechen uns für soziale Gerechtigkeit und Solidarität aus. Erhöhungen der Einkünfte von Abgeordneten sollten an die Lohnentwicklung der Arbeitnehmer  gebunden sein und nicht automatisch durchgeführt werden.

Zu den einzelnen Punkten:

**Echte Debatten statt Politikinszenierung**

Wir setzen uns dafür ein, dass Politik in den Parlamenten wieder gelebt wird. Wir wünschen uns lebendige Debatten im Parlament, bei denen auf die Argumente der anderen Parteien eingegangen wird und im Zuge eines sachlichen Diskurses gemeinsam Lösungen gefunden werden. Hierfür ist es auch notwendig, dass man zumindest teilweise von vorgefertigten Reden und Beiträgen abkommt und wieder zurückfindet zu einer den Bürgerinnen und Bürgern verständlichen Sprache die nicht von Mitarbeitern vorgegeben wird.

Wir wollen, dass im Parlament wieder miteinander statt über einander gesprochen wird. Hierzu gehört auch Respekt und Aufmerksamkeit wenn andere Parteien und Meinungen das Wort ergreifen. Zudem wollen wir, dass Abgeordnete erlaubt wird, ihnen zugeteilte Redezeit auf einen anderen Parlamentarier zu übertragen und auch Fragen kurzfristig auf die Tagesordnung zu setzen ohne sie Tage vorab beim Präsidenten einzureichen. Die derzeitige Geschäftsordnung sieht es vor, dass feste Blöcke von Zeitfenstern an Fraktionen verteilt werden. Um mehr Parlamentarier in die Debatten einzubringen und auch die inhaltliche Qualität zu steigern wollen wir den Abgeordneten die Möglichkeit geben auch einmal weniger zu sagen und die Redezeit an einen Abgeordneten zu übertragen, der sich in die Debatte einbringen will. Dies würde die Landtagsdebatten lebendiger und vor allem lebensnaher werden lassen.

 

**Es gilt das gesprochene Wort**

Wer Protokolle des Landtags liest, der wird dort viele wohlformulierte Reden der Parlamentarier finden. Doch was viele nicht wissen ist, dass einige dieser Reden oder Antworten auf Anfragen nie gehalten worden sind. Denn es ist erlaubt, Reden „zu Protokoll“ zu geben. Das sieht dann zwar hinterher nach einer regen Debatte aus, aber unter Umständen haben die Abgeordneten im Parlament kein Wort mit einander gewechselt und lediglich die von ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern verfassten Reden eingereicht. Wir wollen, dass in den Parlamenten wieder Debatten statt finden und fordern daher, dass die Praxis des zu Protokoll Gebens von Reden abgeschafft wird. Eine nachträgliche Bearbeitung und „Korrektur“ von Reden durch die Parlamentarier lehnen wir ab. Im niedersächsischen Landtag soll wieder das gesprochene Wort gelten.

 

**Beschlussfähigkeit wiederherstellen**

Grundsätzlich ist der Landtag nur dann beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Parlamentarier anwesend ist. So lange die Nicht-Beschlussfähigkeit jedoch nicht formell vor einer Abstimmung durch eine Fraktion angezweifelt wird und der Landtagspräsident eine Nicht-Beschlussfähigkeit feststellt, ist der Landtag beschlussfähig. Wir wollen diese Praxis dahingehend ändern, dass der Präsident verpflichtet ist die Beschlussfähigkeit zu prüfen oder zumindest einzelne Abgeordnete das Recht bekommen die Beschlussfähigkeit anzuzweifeln. Die Notwendigkeit einer Beschlussfähigkeit soll zudem auch auf Debatten im Vorfeld erweitert werden und sich nicht nur auf Abstimmungen beschränken. So lange eine derartige Regelung nicht getroffen worden ist, wollen wir als Piratenfraktion wann immer wir vermuten, dass die Beschlussfähigkeit nicht gegeben ist, diese vom Präsidenten prüfen lassen. Um eine regelmäßige Anwesenheit der Abgeordneten zu ermöglichen, sprechen wir uns zudem dafür aus, dass Paralleltermine von Parlamentsgremien abgeschafft werden. Jeder Parlamentarier muss die Chance haben an jeder Sitzung seines Gremiums teilnehmen zu können und dort seine Wähler zu vertreten.

 

** Öffentlichkeit als Standardeinstellung**

Wir wollen, dass Debatten, die die Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen betreffen nicht ohne sie geführt werden. Transparente Informationspolitik und öffentliche Debatten sind das beste Gegenmittel gegen Korruption und Hinterzimmerpolitik.

Für die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen ist es wichtig, dass nicht nur die Abstimmungen öffentlich durchgeführt werden, sondern auch die Ausschussarbeit möglichst barrierefrei interessierten Bürgern, Pressevertretern und Organisationen den Zugang zu Inforationen ermöglicht. Wir wollen daher öffentliche Sitzungen und verpflichtende Offenlegung von Berichten zur Standardeinstellung machen und damit die bisherige parlamentarische Praxis in den Ausschüssen auf den Kopf stellen. Die Nichtöffentlichkeit einer Sitzung müsste dann erst öffentlich begründet und ausdrücklich beantragt werden. An den Landtag gerichtete Mitteilungen sollen zudem grundsätzlich durch den Präsidenten den Parlamentariern zugänglich gemacht werden.

Investitionen in transparente parlamentarische Strukturen lohnen sich, denn schließlich geht es hier um die Kontrolle der Parlamente durch die Bürgerinnen und Bürger.Wir wollen, dass Debatten aus Ausschüssen und Parlamente als Video-Stream live im Internet und Digital-Fernsehen übertragen werden und diese Daten auch im Anschluss für interessierte Bürger zur Verfügung stehen. Hierzu möchten wir die Etablierung einer umfassenden maschinenlesbaren und benutzerfreundlichen Dokumentationsplattform für Parlaments-Dokumente anregen die auch als Bürger-Plattform für Fragen an die Landesregierung fungieren soll, so lange Niedersachsen über kein Informationsfreiheitsgesetz oder ein Transparenzgesetz verfügt.

 

**Stärkung des freien Mandats**

Demokratie lebt vom Wettstreit unterschiedlicher Meinungen und Positionen nicht nur zwischen sondern auch innerhalb von Fraktionen. Wir setzen uns für das freie Mandat ein, weil wir denken, dass der Abgeordnete in erster Linie seinen Wählen und seinem Gewissen verpflichtet ist. Wir wollen daher dem derzeit von etablierten Parteien praktizierten Fraktionszwang durch konkrete Maßnahmen bekämpfen, indem wir die Rechte der einzelnen Abgeordneten und fraktionsloser Gruppen stärken. Wir fordern, dass Abgeordnete auch alleine Gesetzesentwürfe, Entschließungsanträge und große Anfragen einreichen dürfen, um so die politische Debatte auch innerhalb der Fraktionen zu stärken.

 

**Gegen Lobbyismus und Korruption**

Korruption und Vetternwirtschaft sind Gift für die demokratische Kultur, da sie das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in parlamentarische Strukturen untergraben. Wir Piraten fordern, dass Nebeneinkünfte und Beschäftigungen neben dem Mandat grundsätzlich lückenlos offen gelegt werden müssen, da das öffentliche Interesse hier überwiegt. Zudem sollen die Abgeordneten gesetzlich verpflichtet werden, vorherige und jetzige Verbindungen zu Interessengruppen offen zu legen. Dies beinhaltet Mitgliedschaften, aber auch ehemalige Mitgliedschaften sowie zurückliegende Arbeitsverhältnisse. Auch kleinste Geschenke in Form von „Schnittchen-Empfängen“ sowie Einladungen zu „Soirees“ und andere Bestechungsversuche sind transparent offen zu legen. Die Annahme von materiellen Geschenken wie etwa Freikarten oder gar vergünstigten Konditionen für Dienstleistungen lehnen wir grundsätzlich als Bestechungsversuch ab. Treffen mit Interessenvertretern sollen stets nach Möglichkeit öffentlich stattfinden. Sollte dies nicht möglich sein, sind Audio- oder Videoaufnahmen oder schriftliche Protokolle eine Möglichkeit um Transparenz herzustellen.

 

**Für Solidarität und soziale Gerechtigkeit**

Das Land Niedersachsen ist mit mehr als 50 Milliarden Euro verschuldet. Ein Landtag der den Rotstift bei den Bürgerinnen und Bürgern ansetzt, sollte auch bei den eigenen Einkommen bereit sein Abstriche zu machen. Wir Piraten fordern daher, dass die regelmäßigen Erhöhungen der Gehälter der Abgeordneten zukünftig an die  Lohnentwicklung der Beschäftigten in Niedersachsen geknüpft werden.


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4 Kommentare

  1. Moin Tim,

    danke für dein Feedback. Den Antrag zum Rederecht finde ich deshalb wichtig, da derzeit die Fraktionen die Redezeit unter sich verteilen und man innerhalb einer Debatte kaum noch neue Meinungen abseits von Fragen mit einbeziehen kann. Die Abtretung von Redezeit würde auf Freiwilligkeit beruhen, niemandem soll Redezeit weggenommen werden dürfen, wenn er oder sie es nicht ausdrücklich will. Auch Abweichler würden dann die Chance bekommen wen schon nicht von der Fraktion dann aber doch von Einzelnen Redezeit zugeteilt zu bekommen.

    Freie Wortmeldungen wären natürlich auch eine Alternative. Und mit der Begrenzung auf drei Wortmeldungen halte ich das für einen guten Ansatz. Sollten wir mal drüber mumblen.

    Die beiden letzten Punkte gehören definitiv nicht zur GO auch wenn die Themen im Anhang der GO als Verhaltenskodex angeschnitten werden. Trotzdem gehört dies für mich zur politischen Kultur dazu und sollte daher auch nicht fehlen. Ich werde daher deutlicher kennzeichnen welche Punkte Teil der Go sind und welche nicht. Ich dachte das wäre intuitiv klar, ist es wohl doch nicht ;)

  2. Liebe Katta,
    vielen Dank für die Arbeit. Ich finde fast alle Vorschläge gut bis sehr gut, vor allem auch die Stärkung der Rechte der einzelnen Abgeordneten.
    Die Übertragung der Redezeit lehne ich ab, da einem Menschen das Rederecht unteilbar zusteht und eben nicht übertragbar ist. Ich finde freie Wortmeldungen, nachdem der Antragsteller sein Anliegen vorgestellt hat, angemessen. Evtl. könnte man die Wortmeldungen auf drei pro Person beschränken.
    Ich denke nicht, dass Nebeneinkünfte in der GO geregelt werden können. Auch die Diätenentwicklung der Abgeordneten muss wohl im Gesetz geregelt werden. Die Aussage darüber wirkt auf mich etwas oberflächlich, da Pensionen und Diätenniveau nicht themasiert werden. Da würde ich mir einen eignen Antrag wünschen.

    Ciao Tim

  3. Lieber Meinhart,

    das vermisste Pad findest du hier: http://piratenpad.de/p/GO-NDS
    Vielleicht war es nicht deutlich genug markiert, dass tut mir dann sehr leid. Das nächste Mal werde ich es prominenter plazieren.

    Es steht jedem frei so viel oder so wenig darin zu editieren wie er oder sie möchte. Ich freue mich über jedes Feedback. Es ist nur so, dass bei der Lektüre der Geschäftsordnung nicht wenige Notizen anfallen, sondern eher umfassende Bemerkungen. Der Antragsentwurf beinhaltet diese Notizen.

  4. Ist das Politik 2.1, dass wir etwas „fertiges“ vorgelegt bekommen? – Ich war nach dem Workshop davon ausgegangen, dass es ein Pad gibt, und wir mitarbeiten können an dem, was Du an Ideen vorschlägst und so eine gemeinsame GO entsteht.

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